Technik im Spiegel der Literatur
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In der vorliegenden Arbeit soll gezeigt werden, wie sich das Technikverständnis im Zuge der deutschen Industriellen Revolution – gespiegelt in ausgewählten Erzähltexten des 19. Jahrhunderts – verändert hat. Ausgangspunkt der Untersuchung ist Goethes Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden, der in zweiter Fassung 1829 erschienen ist und in dem der Umbruch vom gewerblich organisierten Handwerk hin zum Beginn der maschinell erfolgenden Produktion thematisiert wird. Wilhelm Meister beobachtet diesen Umschlag auf seiner Wanderung über die Stationen Sankt Joseph, Montan, den Oheim, Lenardo, Makarie, die Pädagogische Provinz und Susanne hin zum Bund der Auswanderer, die ihre Ausreise nach Amerika vorbereiten. Wilhelm Meister verändert sich auf seiner Reise, er lernt unterschiedliche Menschen und Gewerbezweige kennen. Wilhelm Meister findet dank dieser Erfahrungen heraus, wo sein Platz in der Gesellschaft ist und welche Tätigkeit ihm gemäß ist. Auch die anderen Hauptakteure der Wanderjahre durchleben diesen Prozess und finden ihren Platz in der Gesellschaft. Es soll nachvollzogen werden, wie Goethe die Umbruchszeit in der Frühphase der Industriellen Revolution literarisch gestaltet und ob Goethe der Technik – entsprechend dem, was zu seiner Zeit allgemein darunter verstanden wurde – offen gegenübergestanden hat. Im Anschluss an diesen Teil werden im nächsten Teil der Arbeit Texte aus den Epochen des Jungen Deutschland und des Realismus hinzugezogen und auf das in ihnen dargestellte Technikverständnis untersucht. Die für diesen Teil der Arbeit ausgewählten Werke thematisieren die industrielle Produktion in Fabriken, die mit dem Eisenbahnbau – dem Führungssektor der deutschen Industriellen Revolution – in Berührung kommen. In Gustav vom Sees Novelle Der Handschuhmacher und in Ernst Willkomms Roman Eisen, Gold und Geist werden Schienen für den Eisenbahnbau produziert, in Karl Gutzkows Roman Die Ritter vom Geiste und in Friedrich Spielhagens Roman Hammer und Amboß werden Maschinenbaufabriken dargestellt, die Lokomotiven herstellen. Der hier beobachtete Zeitraum umfasst die Zeit von 1843, dem Jahr der Herausgabe der Novelle Der Handschuhmacher und des Romans Eisen, Gold und Geist, bis zum Jahr 1869, in dem der Roman Hammer und Amboß erstmals veröffentlicht wurde. Es ist der Zeitraum der Hochphase der deutschen industriellen Revolution, der in W. W. Rostows Modell der „Stadien des wirtschaftlichen Wachstums“ als „Take-off-Phase“ bezeichnet wird und in dem das Wachstum des Sozialprodukts einen von der modernen Industrie getragenen Schub der entscheidenden Beschleunigung erfährt, um wie ein vom Boden abhebendes Flugzeug in ein anhaltendes Wachstum überzugehen. Die zentralen Fragen dieser Arbeit lauten: Wie verändert sich innerhalb des untersuchten Zeitraums das Verständnis von der Technik? Wie wird die Technik wahrgenommen? Bleiben die Menschen in Angst vor der industrialisierten Technik gefangen oder beginnt in dem beobachteten Zeitabschnitt eine Öffnung hin zur Technik, eine Akzeptanz der maschinellen Produktion? Wie die mit Maschinen erfolgende Arbeit dargestellt wird und wie sich das Technikverständnis im Zuge des Umgangs mit den neuen Produktionsmethoden ändert, soll anhand ausgesuchter Textpassagen, die die Arbeit in den Fabriken thematisieren, dargestellt werden.