Lebenszeichen
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„Lieber Pappa. Deinen so lieben Brief hab ich erhalten. Ich war erstaunt ich wusste nicht was ich sah. denn ich glaubte Du wärest schon längst tot gewesen. Wie ich den Brief bekommen habe und gelesen hab ich nichts mehr gethan wie geweint, Den das ist mir doch zu hart das du noch lebst und kann nicht einmahl Dich in meine Arme schließen und Dir lieber Pappa alles erzählen.“ Diese Zeilen, die der Landarme Friedrich Prager 1892 von seiner in Witten lebenden Tochter Anna Langhoff erhielt, gehören zu den 376 edierten privaten Schriftstücken, die einen außergewöhnlichen Einblick in Mentalitäten, Alltag und Lebenswelt von Menschen aus den Unterschichten im späten 19. Jahrhundert geben. Häufig handelte es sich bei diesen Briefen im wahrsten Sinne um „Lebenszeichen“, etwa wenn sich Familienangehörige oder Freunde durch ihre – wenn auch meist kleinräumige – Arbeitsmigration aus den Augen verloren hatten. Einzigartig ist diese Edition deshalb, weil solche private Korrespondenz zwischen Menschen, die weitgehend den Unterschichten zuzuordnen sind, nur selten als größerer Bestand erhalten geblieben ist. Dass diese Briefe nicht einfach weggeworfen wurden, ist dem Umstand geschuldet, dass es sich bei den Adressaten oder Absendern um Insassen des Westfälischen Landarmenhauses Benninghausen (1844-1891) handelte. Deren Korrespondenz wurde säuberlich in den Anstaltsakten abgeheftet, die ihrerseits mehr zufällig die Zeit überdauert haben. Nach dem Band 113 „Alltag und Lebenswelt von heimatlosen Armen“, dem ebenfalls die Insassen-Akten des Westfälischen Landarmenhauses Benninghausen zugrunde lagen, möchten wir mit der vorliegenden Edition diesen besonderen Briefbestand Volkskundlern, Historikern und Sprachwissenschaftlern für Forschung und Lehre zugänglich zu machen. Darüber hinaus gewährt der Band als Lesebuch einen ungewöhnlichen Einblick in die Lebenswelt einer Personengruppe, die bislang nur selten schreibend in Erscheinung trat.