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Moritz, Martha und die anderen

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Für die meisten Menschen ist immer noch unfassbar, was in den Jahren ab 1933, vor allem aber ab 1941 mit der jüdischen Bevölkerung Europas geschah. Noch bedrückender wird diese Vorstellung aber, wenn die Verfolgten und Ermordeten ein Gesicht bekommen, wenn sie zu Nachbarn werden. Auch in Stadt und Kreis Düren gab es viel jüdische Gemeinden. Während in der Stadt seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Kaufleute, Rechtsanwälte, Ärzte und vereinzelt auch Fabrikanten das Bild bestimmten, waren die ländlichen Gemeinden noch immer geprägt von den Metzgern, Viehhändlern und kleinen Handelsleuten. Ihre Zahl war jedoch oft zu gering, um nach jüdischen Vorschriften eine eigene Gemeinde zu bilden, wie etwa in Nörvenich und Hochkirchen. Gerade einmal 14 Deutsche jüdischen Glaubens wohnten in diesem Amtsbezirk, weitgehend angepasst, unauffällig, integriert. Nichts deutete in den vielen Jahrzehnten, in denen ihre Familien schon dort lebten, darauf hin, dass ihnen einmal ein ganz besonders grausames Schicksal beschieden sein würde. Und weil ihr Leben kein besonderes, kein auffälliges war, sind auch die Spuren sehr spärlich, die sie hinterlassen haben. Trotzdem hat sich der Autor schon vor vielen Jahren daran gemacht, das wenige, was noch zu finden war, zusammenzutragen, um daraus Lebensbilder der Nörvenicher und Hochkirchener Juden zu rekonstruieren. „Nicht alle Schicksale konnten lückenlos recherchiert werden“, schreibt er in seinem Vorwort. Das bezieht sich vor allem auf die Zeit nach der Deportation ab Oktober 1941 aus den Dürener Sammellagern in die Vernichtungsstätten des Ostens. Dabei schafft es der Autor, ein teilweise sehr intensives Bild jener Jahre zu zeichnen, von der anfänglichen Irritation über das jetzt herrschende Klima, dem allmählichen Rückzug der bisherigen Nachbarn und „guten Freunde“, dem immer massiver werdenden Ausschluss aus der sozialen Gemeinschaft des Dorfes, aus Vereinen und Schulen bis hin zu den administrativen Anordnungen, die der endgültigen Deportation voraufgingen. Nach ihrer Entfernung aus Nörvenich und Hochkirchen, der Neubesetzung ihrer Wohnungen mit verdienten „Parteigenossen“, der Beschlagnahme ihrer Habseligkeiten warteten sie in der Dürener Gerstenmühle und der Thuirs Mühle in Lendersdorf auf den Befehl zum Abmarsch zum Dürener Bahnhof. Erschüttert lesen wir in einem Brief, den Martha Haase am 18. Oktober 1941 an eine gute Freundin schrieb: „Liebe Gert! Wenn Du diesen Brief erhältst, dann sind wir weit weg und niemals werden wir uns wiedersehen. Ach liebe Gert, was ist das Leben grausam! Wären wir doch alle tot, dann wäre uns allen wohl. … Gleich gehts los. Steh meiner armen Mutter bei, besuch sie diese Woche noch, da sie vielleicht nach dem 1. schon hier weg sein kann. … Lebt alle wohl. Auf Nimmerwiedersehn.“ Diese Zeilen deuten darauf hin, dass Martha Haase und ihr Ehemann Walter in einem jener ersten Transporte waren, die ab Oktober 1941 von Köln und Düsseldorf nach Litzmannstadt, dem polnischen Lodz, gingen. Die meisten Dürener Juden wurden dagegen von März bis Juli 1942 nach Izbica und Theresienstadt verbracht. Soweit irgend möglich, hat der Autor die letzten Stationen seiner ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger rekonstruiert. Warum dies nicht immer gelang und warum es nach dem Krieg Jahrzehnte dauerte, bis man auch in Nörvenich an diese Menschen erinnerte, beschreibt er in seinem Schlusskapitel. „Mögen ihre Seelen eingebettet sein im Bündel der Lebenden“, wünschen Juden ihren Verstorbenen. Dass die Erinnerung an sie Teil unseres Lebens sei, wünscht sich der Autor.

Parameter

ISBN
9783942513043

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Buchvariante

2012, hardcover

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