Sachinventar zur Sozialgeschichte der Stadt Lunzenau
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KurzbeschreibungObwohl der Aktenbestand des Lunzenauer Stadtarchivs, der sich im Kreisarchiv Mittelsachsen, Dienststelle Wechselburg, befindet, nur einen relativ geringen Umfang hat, enthält er zahlreiche Faszikel, die bemerkenswerte Aufschlüsse über die Sozialgeschichte bzw. Geschichte der Arbeiterbewegung dieser Kleinstadt geben. In den erschlossenen Akten tritt Folgendes zutage: Lunzenau gehörte in den Jahren 1848/49 zu den kleinen regionalen Zentren der Revolution. Mitte des 19. Jahrhunderts war zwar am hiesigen Ort noch die Hausweberei vorherrschend, doch existierte hier seit dem Jahre 1857 eine mechanische Weberei. Wie überall in Deutschland war für die Sozialdemokraten in Lunzenau zwischen 1878 bis 1890 eine legale Betätigung unmöglich. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes wuchs die Arbeiterbewegung hierorts in die Breite. Die örtliche Organisation der Sozialdemokratischen Partei wurde vor, während und nach dem Sozialistengesetz streng überwacht. Außerdem entstand in dieser Kleinstadt um die Jahrhundertwende ein ganzes Netz von sozialdemokratischen Vorfeldorganisationen. Während des Ersten Weltkrieges verschlechterte sich die wirtschaftliche und soziale Lage der hiesigen Bevölkerung zusehends, zumal in Lunzenau der Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital seit jeher besonders ausgeprägt war. Es verwunderte daher nicht, dass diese Stadt im November 1918 von der revolutionären Bewegung erfasst wurde. In den 20er/30er Jahren entwickelte sich Lunzenau zu einer Hochburg der Arbeiterbewegung. Kennzeichnend für das Verhältnis von SPD und KPD am hiesigen Ort war – im Unterschied zu dem vielerorts ausgefochtenen Bruderkampf – ein sehr pragmatischer Umgang miteinander, doch kühlten sich Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre ihre Beziehungen merklich ab. Der Realitätssinn der hiesigen Sozialdemokraten offenbarte sich darin, dass sie im Unterschied zu der von ihrer Partei nahezu überall betriebenen „Legalitätspraxis“ darauf verzichteten, an den unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten hierorts stattfindenden Stadtverordnetenwahlen noch teilzunehmen. Nach der faschistischen Machtergreifung wurden hier sämtliche Arbeiterorganisationen verboten, außerdem wurden zahlreiche ehemalige KPD- und SPD-Funktionäre bzw. Mitglieder in Schutzhaft genommen.