Friederike Walter - Betrachtung von allen Seiten
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Dass Friederike Walter ein Faible für das Spiel mit verschiedenen Blickwinkeln hat, für das Andeuten und Öffnen neuer Räume und Raumfluchten, für den unsicheren Stand mit manchmal weichen Knien, zeigte sich bereits in ihrer frühen Serie der Fahrstuhl-Bilder (2004–2006). In ihren jüngsten Gemälden ist Friederike Walter noch einen Schritt weiter gegangen: Ihre Architekturen sind nun bodenlos – oder zumindest ähnlich schwindelerregend wie der Schacht, der unter der Fahrstuhlkabine in die Tiefe führt. In den je vier Bilder umfassenden Betrachtungen von allen Seiten gibt es kein eindeutiges Oben und Unten mehr, keinen sicheren Halt für eine stabile Raumwahrnehmung. Viermal zeigt die Künstlerin denselben quadratischen Ausschnitt aus einer Architektur, viermal tritt uns das um jeweils 90 Grad gedrehte Motiv mit einer eigenen Lesbarkeit vor Augen. Ein Schacht wird zum Gang, wird zum Treppenabsatz, wird zur Unteransicht einer Raumecke – und ist doch nie eindeutig Lüftungsschacht oder Gang oder Treppen-absatz oder Raumecke. In den Betrachtungen von allen Seiten entsteht aus der Reihung der vier identischen und doch ganz verschieden wirkenden Ansichten ein kompositorischer Bogen, ein rhythmischer Wechsel von Linienverläufen, Licht- und Schattenzonen, der die Serie zusammenspannt und auf den Kern dieser Betrachtungen verweist: Keine der vier Ansichten kann für sich beanspruchen, das Motiv in seiner definitiven Beschaffenheit wiederzugeben, alle vier sind in sich ebenso stimmig wie unvollständig. Und so hebt sich ins Bewusstsein, dass gerade die Ungewissheit darüber, was wir sehen, einen Anteil an der Wahrheit hat.