Monika Schneider
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Leben, ungebremst Von Annik Aicher Verflixt und zugegipst: Ein Bein ist gebrochen. Ob dieser rote, hohe Schuh daran schuld ist? Und jemand hat das Auto aufgehebelt. An einem Montag war das, ausgerechnet. Mittendrin sind wir, in Monika Schneiders Leben. Wir blättern in ihrem Tagebuch. Aber nicht heimlich, mit schlechtem Gewissen. Die Künstlerin hat die Seiten aufgeschlagen. Persönliches nimmt Raum ein. Umkreist uns, ganz greifbar. Mit sicherer Hand hat sich Monika Schneider Alltagsfetzen geschnappt, aus einer Fülle von Ereignissen und Informationen, von denen sie 86400 Sekunden am Tag umschwirrt wird. Erschreckendes, Elementares wie Krankheit und Tod ist ebenso dabei wie Heiter-Banales in Gestalt von aussortierten Lippenstiften und vertrackten Strickmustern. All das zeichnet Monika Schneider. Und taucht dabei tief in die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ein. Denn „zeihhannen“ hieß vor rund 1000 Jahren auf Althochdeutsch, etwas mit einem Zeichen ausdrücken oder mit einer Markierung versehen. Monika Schneider packt nicht nur Situationen und Erlebnisse in vielschichtige Sinn-Bilder, sondern prägt auch das Papier mit unterschiedlichen Materialien. So reiben etwa Ölkreide, Blei- und Buntstifte über die Oberfläche, bleiben in den feinen Vertiefungen der DIN-A4-Blätter haften. Striche und Linien, geformt mit Kuli, Knete oder Faden, wachsen als Geflecht aus dem Papier heraus. Während Filzstifte, Fineliner und Aquarell sich von den Fasern einsaugen lassen. Monika Schneider hält für einen Augenblick den Zeitstrom an. „Notstop Looking“ ist ihre Devise. Sie hört nicht auf zu schauen – egal, ob Schicksale kaum auszuhalten sind oder einfach nur Schönes passiert. Kunstschaffende wie On Kawara und Hanne Darboven haben versucht, das tägliche Chaos mit strenger Routine und systematischer Zahlenmagie zu fixieren. Monika Schneider dagegen lässt Wildheit zu. Ihre Zeichnungen sind unmittelbar, ungeglättet, ungebremst. Da sitzt ein giftgrüner Melonenkopf auf pinkfarbenen Schultern, da landet mit wenigen Strichen eine 70er-Jahre-Schüssel im Raum, da spritzt Blut bei der Maniküre. Und wir können nicht aufhören zu schauen, weil wir ein fremdes Tagebuch lesen dürfen – das auch unser Tagebuch sein könnte.