Recht und Sitte
Autoren
Mehr zum Buch
Der Jurist und Rechtsdenker Rudolf von Jhering war nichts weniger als ein ledernes Exemplar seiner Zunft. Mit allen fünf Sinnen konnte er an der Welt sich freuen, zuweilen auch „einen gründlichen Unsinn“ vollführen und dem Freund unter vier Augen anvertrauen, daß ihm die Jurisprudenz immer langweiliger werde. Aber die heiße Vollnatur ist im Innersten doch vom großen Ernst der Fragen um Recht und Gesellschaft bewegt und will auch die Mitwelt in die Kraft und Richtung ihres Willens zwingen. Dieser Wille wirkt auf dem Wege einer Idee, die vom reifen Manne und seinem Leben Besitz ergriffen hat. Über die herrschende Meinung seiner juristischen Zeitgenossen, als sei das Recht etwas organisch und naturhaft aus der Vernunft der Menschheit in ihrer Geschichte Gewordenes, strebt er hinaus in der Erkenntnis, daß die Rechtsgebungen jeweils von den Zwecken der menschlichen Gemeinschaften her bestimmt sind — „der Zweck ist der Schöpfer des Rechts“. Hierin lag der Versuch, positives Recht und Rechtssätze aus den Funktionen zu verstehen, zu denen sie von ihren Urhebern her, die den Zwecken des menschlichen Zusammenlebens entsprechen wollten, berufen waren. Um diesen Mittelpunkt des „Zwecks im Recht“, genauer gesagt der Zwecke in den Rechtssätzen, baut Jhering die Untersuchungen seines bedeutendsten Werkes; aber indem er sich das Ziel immer weiter steckt und vollends in den Entwurf einer Gesellschaftslehre überhaupt gerät, zerläuft ihm der ursprünglich gebundene Strom in ein Delta von Strömen, die ihrem Schöpfer in der Trennung nicht mehr gehorchen. Wie er schon das andere Hauptwerk, den vierbändigen „Geist des römischen Rechts“, als Torso aufgegeben, so auch den , Zweck im Recht“. Dennoch hat es seither sich als eine Leistung von der Art bewiesen, nach welcher der Verfasser selbst verlangt hat. „Wie selten“, sagt er von einigen andern, „sind solche zündenden Bücher in unserer juristischen Literatur“. Die Wirkung ins Breite war sein Wunsch und sein Ehrgeiz. „Was nützt uns der objektive Reichtum der Wissenschaft, wenn nicht in der Masse der Heißhunger erregt wird, sich dieser Schätze zu bemächtigen?“