Musiktherapie als Kultivierung von Erfahrung oder: Dornröschen – die Morphologie einer Wiederkehr
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Seitdem der Musiktherapie eine Krankenkassenzulassung rechtskräftig untersagt wurde, hat sie paradoxerweise ihre alte Freiheit wiedergewonnen. Sie braucht sich nicht mehr einer Krankheitslehre zu verpflichten. Sie kann sich absetzen von Klinikkonzepten, die sich an einer solchen Lehre orientieren. Im vorliegenden Buch wird eine Rückkehr zur autonomen Kompetenz des Seelischen, sowie zu einer befreiten Musiktherapie anhand einer Wirkungsanalyse in 25 Sitzungen dargestellt. Von Stunde zu Stunde wird herausgestellt, wie das seelische Geschehen aus dem Leben einer 44-jährigen arbeitstätigen Frau sich in den bevorzugten Materialien – Klagproduktion, Alltagsepisoden, Traumerinnerungen – ausbildet und zugleich weiterzubilden sucht. In diesen drei Materielaien bricht sich prismatisch die Konstruktion einer typischen Umgangsform mit Alltäglichkeit. Darin werden ebenfalls die Verkehrungen, Schieflagen, Engpässe mitübertragen. Klangproduktion als Handlungsgefüge, Erzählung als Text vom Alltag sowie Traumgefüge als hyperbolische Erfahrung sind Gegenstand der Behandlung. Die ganze Wirkungseinheit läuft vom Spielen übers Erzählen bis zu der Interpretation und wird hier als Kultivierung von Erfahrung aufgefasst. Die Erfahrungen im Behandlungsraum nehmen immer das Ganze eines lebensweltlichen Umgangs in den Blick; keine Teilprobleme. Märchen stellen als Kunstwerke verschiedene Modelle als Umgang mit Wirklichkeit dar; in paradoxalen Zweieinheiten. Bei Dornröschen geht es einmal um seelischen Formen der Stilllegung und des Überwucherns, zugleich werden die Gegenzüge belebt in Momenten des Suchens und Riskierens, sowie in Befreiung und Wiederkehr. Die Kultivierungserfahrung einer 44-jährigen wird in der Wirkungsanalyse ins Helle gerückt und mit den kulturpsychologischen Momenten des Märchens Dornröschen in Austausch gebracht. Auf diese Weise werden ihre ‚privaten‘ Verkehrungen und Schieflagen in einen allgemeinen Kulturkontext aufgehoben. Das Märchenbild lässt sich außerdem auf die neue Situation sich einer befreienden Musiktherapie beziehen. Zu einer Musiktherapie, die sich zu befreien versteht von Überwucherungen durch fremde Konzeptdiktate oder falsch verstandene Dienstbarkeiten an Mainstreamgewohnheiten, können zu lang stillgelegte Suchbewegungen und risikofreudige Innovationen zurückkehren.