Verhinderte Ritter in der deutschen Literatur des Mittelalters
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Gegenstand dieser Arbeit sind die Bedingungen, unter denen in mittelalterlicher fiktionaler Literatur eine Identität der Figuren konstruiert wird. Untersucht werden diese anhand einer Gruppe literarischer Figuren, die als ‚verhinderte Ritter‘ unter dem Gesichtspunkt vergleichbar sind, dass sie den gemeinsamen Wunsch teilen, ein Leben als Ritter zu führen, der Realisierung dieses Wunsches jedoch verschiedene Hindernisse im Wege stehen, entweder erfolgreich überwunden werden oder aber sich als unüberwindbar erweisen: Parzival und Rennewart bei Wolfram von Eschenbach, Hartmanns von Aue Gregorius und Wernhers des Gartenaere Helmbrecht. Indem die vorliegende Arbeit die Bedingungen und Ausprägungen ritterlicher Identitätskonstruktionen am Beispiel von zumindest vorläufig scheiternden Protagonisten untersucht, rücken zwangsläufig die Einschränkungen und Widerstände in den Fokus, mit denen die Figuren sich konfrontiert sehen. Auf diese Weise wird deutlich, dass eine erfolgreiche Ausbildung ritterlicher Identität kein Selbstläufer ist, sondern von mehreren äußerst unterschiedlichen Faktoren beeinflusst und abhängig ist, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Individuums zu suchen sind. Die Fokussierung auf das Scheitern schärft damit den Blick auf die für die Identitätskonstruktion der Protagonisten relevanten Faktoren. Die Fragen, die am Beispiel der literarischen Figuren in den mittelalterlichen Texten diskutiert werden, sind die nach dem Verhältnis von geburtsmäßiger Determination auf der einen und individueller Sozialisation und Erziehung auf der anderen Seite, nach der Rolle des sozialen Umfelds als Spiegelfläche und Identifikationsrahmen, nach der Bedeutung von Gegenständen, Symbolen und performativen Akten, nach der Beziehung zwischen vermeintlich frei gewähltem Lebensentwurf und göttlicher Prädestination und Providenz, damit zusammenhängend auch nach der Rolle und der Wichtigkeit eines vermeintlich gottgewollten sozialen Ordo, und nach Schuld und der Möglichkeit von Erlösung. Die ausgewählten Texte rücken dabei jeweils ganz verschiedene der genannten Identitätsfaktoren in den Mittelpunkt des Diskurses. Aus der Abstraktion der konkreten literarischen Fallbeispiele entsteht ein Bild von den Vorstellungen, die die fiktionale mittelalterliche Literatur bezüglich der Kategorien Identität und Individualität vermittelt. Indem die literarischen Beispiele als zeitgenössische Diskursbeiträge zu Identität und Individualität erkannt werden, erlaubt deren Analyse auch indirekte Folgerungen über außerliterarische Ansichten zu diesem Themenfeld. Dabei wird deutlich, dass dem Mittelalter selbst solche Konzepte, die häufig als substanziell für moderne Identitäts- und Individualitätsvorstellungen angesehen werden, durchaus nicht fremd sind. Unterschiede zwischen den Epochen manifestieren sich weniger in der Denkbarkeit von Alternativen abseits vorgefundener Existenzformen oder in der Vorstellbarkeit einer radikalen Selbstverwirklichung des Individuums als vielmehr in deren ethischer Bewertung.