Rügen-Impressionen
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Was treibt Menschen in der heutigen Zeit, sich wieder auf die Funktion ihrer Füße zu besinnen? Vielleicht El Camino de Santiago, so der Jakobsweg auf Spanisch? Das Ziel vor Augen, gereift an Erfahrung und erhoffter Erleuchtung, Santiago de Compostela zu erreichen? Sinnlich, fast wie flüssiger Honig, laufen diese wohlklingenden Namen über meine Lippen. Die Ortsnamen meiner heutigen Wanderung schmecken eher wie Lakritz: Jarkvitz, Kransdorf, Saalkow, Gustow, Sissow, Venzvitz, Glutzow Hof, Üselitz. Ich beginne meinen persönlichen »Jakobsweg« auf Rügen am 1. September 2014 unter der Eisenbahnbrücke nahe der Ortschaft Altefähr im Süd-Westen der Insel. Kein klassisches Touristengebiet. Hierher verirren sich nicht viele, nur Individualisten oder Menschen, die glauben, auf einer Insel sei das Meer überall schnell zu erreichen, und dann gibt es noch die, die gern hier wohnen. Heute ist der Himmel verhangen. Es herrscht frühherbstliche Stimmung. Der Wetterbericht sagt für diesen Tag Regen voraus. Kurz halte ich inne, überlege: »Ob zu Hause zu bleiben, zu lesen oder Ausstellungen zu besuchen Optionen wären?« Ein altes Sprichwort sagt: »Wenn du nirgendwo hingehst, kannst du nirgendwo ankommen.« Es ist immer eine Erfahrung wert, den ganzen Körper zu spüren, sich zu den Kleinstlebewesen hinabzuneigen, sich demütig zu zeigen … innezuhalten, um den bunten Schmetterling auf der Haut nicht zu stören. Dass er in seinem Leben bereits eine Raupe war, ist in diesem intimen Moment der Bewunderung, der Magie der Verwandlung vergessen. Ich male diese Augenblicke farbig in meine gereifte Seele. Seit meinen Kindertagen bin ich auf der Suche nach entschwundenen Dingen und verlassenen Träumen.