Hedwig Eberle
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Für ihre erste institutionelle Einzelausstellung hat Hedwig Eberles mit Aquarell, Gouache und Tusche einen Zyklus großformatiger Papierarbeiten geschaffen. Ohne Glas gerahmt zeigt sich die lichthelle Farbe in aller Unmittelbarkeit. Offen fließt oder steht sie auf den Papieren, ebenso zart wie heftig wird sie auf- oder ausgestrichen, gebündelt oder zerstreut. Sie sind von allen Seiten her gemalt, so dass sie sich fast schon topografisch ausbreiten. Um diese immense Ausdehnung beieinander zu halten, sind die Bildkanten wie mit einem Rahmen ausdrücklich durch einen freigelassenen weißen Rand betont. Die expansive Farbigkeit ist freigestellt und gleichsam umso stärker in ihrer bildlichen Einheit gefasst. Zudem bestehen die Bildfelder nicht aus einem Stück, sondern setzen sich aus mehreren, aneinander geklebten Einzelblättern zusammen. Das flüssige Aquarell läuft in die Zwischenräume und setzt sich in den Fugen ab, worauf sich das Papier wölbt und nach dem Trocknen eine rasterförmige Struktur ausbildet. Durch dieses Raster erhalten die Papierarbeiten eine unterschwellige geometrische Ordnung, die dem aufbrausenden Rausch der Farbe zugrunde liegt wie das Notationssystem mit seinen Höhen und Tiefen, Zäsuren und Intervallen der Musik. Hedwig Eberle vereint diesen ordnenden Halt mit ihren gestischen Ausbrüchen. Ruhe und Bewegung fallen in eins. Das straffe Lineargerüst und der lockere Gestus steigern sich wechselseitig, denn „Struktur ohne Leben ist tot, aber Leben ohne Struktur ist nicht wahrzunehmen“, wie John Cage treffend bemerkte. Die Bildgeometrie gibt gewissermaßen den tragenden Takt, durch den hindurch sich die Farbklänge erst entfalten können. Die Farbzüge als Gegenpol des rationalen Rasters sind darüber hinaus menschliche Gesten, die sich als Spuren der Hand oder als immaterielle Empfindungen und Erfahrungen der ungegenständlichen Bildordnung einschreiben. Bisweilen sind es sogar ganz buchstäbliche Körperfragmente, die an Fotografien aus Magazinen oder Zeitschriften erinnern könnten. Körper in den unterschiedlichsten Situationen und Posen. Jetzt aber aus einem durch und durch ornamentalen Gefühl für die Linie gedacht, die die Erscheinung in sich aufgenommen hat und sich selbst beschreibt. Wohin dies führen mag, ist heute keineswegs entschieden oder abgeschlossen. Was Hedwig Eberle stattdessen offenbar macht, ist der Prozess des Ringens um Farbe und Form, um die eigene Malerei. Ein malerisches Zwiegespräch, das in Konzentration und Zerstreuung, unbewusster Auflösung und bewusstem Zur-Gestalt-Kommen auch uns Betrachter miteinbezieht. In aller Offenheit ist jede ihrer Gesten eine suchende, eine versuchende.