Totenroteln
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Jene Pergamentrollen, die – um einen hölzernen Stab gewickelt – bis in das 18. Jahrhundert die Funktion hatten, die Nachricht vom Ableben eines Mitbruders von Kloster zu Kloster zu verbreiten, jene Todesbotschaften, deren Erhalt auf den Stationen ihres Weges mit schwarzen Siegeln von den Abteien bestätigt wurden, haben dem lyrischen Zyklus Alfred Guldens ihren Namen gegeben. In diesem Sinne wirft Alfred Gulden mit dem Titel seiner Gedichte die Frage auf, ob nicht alles dichterische Schreiben auch als eine Totenrotel verstanden werden kann, weil die Verschriftlichung als eine Form der Erinnerung an Vergangenes auch eine Botschaft an die Mitwelt ist. Gleichwohl denken die Gedichte des Zyklus nicht über die Vergangenheit nach: Als lyrische Betrachtungen über Verlorenes vergegenwärtigen sie das einmal Geschehene, Erfahrene, Erlebte. Solchermaßen zeigen sie das, was die Zeit zurückgelassen hat, die Ruine, das Aufgelassene, den Scherben und das nur noch Fragmentarische als eine Gravur der Erinnerung im Bewusstsein der Gegenwart. Bettina van Haarens Arbeiten sind Selbstbilder, weil sie über sich und ihre Körpererfahrungen am meisten sagen kann. Sie versucht, sich mit unterschiedlichen formalen Ansätzen unbekleidet wahrzunehmen, Teilaspekte schonungslos offen zu erkunden, sich zu bestimmen, zu befragen und ein Verhältnis zum Körper herzustellen. Es ist ein Überprüfungsgeschehen von Erfahren, Erinnern und ein Neu-Erfinden. Sie vollzieht mit sich unmögliche Arten von Performance. Viel speichert sie körperlich und reagiert auf das Leben fast tagebuchartig. Es ist eine Arbeit gegen das Sich-Verlieren, an der Fremdheit und Unsicherheit des Da-Seins, ein ständiger Such- und Erkenntnisprozess des momentanen Bewusstseins.