Ehrbares Handwerk

Georg Rheinwald, Spross einer der ältesten Familien des niederbayerischen Landstädchens Osterhofen, erlernt bei seinem Vater das seit dem 17. Jahrhundert in seiner Familie traditionell ausgeübte Handwerk, die Schneiderei. Dem alten Brauch folgend, begibt er sich 1898 auf eine ausgedehnte Walz, die ihn bis 1902 quer durch Deutschland sowie nach Belgien, Frankreich und in die Donaumonarchie führt. Die Stationen und Erlebnisse seiner dreijährigen Reise notiert er in eine Kladde und bringt sie fast ein halbes Jahrhundert später als beredtes Zeugnis der Mühen seiner Wanderschaft, aber auch der mannigfachen Erlebnisse von Kameradschaft zu Papier. Das Jahr der Niederschrift, 1947, ist das annus horribilis Rheinwalds: Der Urkundenfälschung und der Unterschlagung bezichtigt, muss er das zwei Jahre zuvor angetretene Bürgermeisteramt ruhen lassen. Die gegen ihn gerichteten Vorwürfe sind nicht ohne Substanz, werden von seinen Gegnern aber aufgegriffen und dramatisch überhöht, um Rheinwalds unablässigem Eintreten Einhalt zu gebieten, die Zeit der Diktatur in Osterhofen aufzuarbeiten und die einstmals führenden Nationalsozialisten der Stadt zur Rechenschaft zu ziehen. Durch die Zerstörung seiner Reputation gedemütigt verlassen seine Frau Betty und er 1951 Osterhofen, um die letzten Lebensjahre in München zu verbringen. Mit der Edition von Georg Rheinwalds Erinnerungen an die Walz wird eine lebendige Quelle für den Übergang vom 19. auf das 20 Jahrhundert erschlossen. Gemeinsam mit der biografischen Skizze des Mitbegründers der CSU und ersten Nachkriegs-Bürgermeisters in Osterhofen sollen sie zugleich aber auch einen Mann im historischen Bewusstsein der Stadt verankern, der, in zwölf Jahren Diktatur ungebrochen, in der Stunde Null Deutschlands bereit stand, seine späten Jahre ganz dem Wiederaufbau eines auf Demokratie, Freiheit und Recht fußenden Gemeinwesens zu widmen.