Tragische Scham und peinliche Prosa
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Franz Grillparzer (1791–1872) kommt ein herausragender Stellenwert unter den deutschsprachigen Autoren nach 1800 zu. Bereits in den 1950ern wurde seine literarische Ausnahmeposition als zentrale Schwellenfigur zwischen (u. a. barocker, klassischer) Tradition und Moderne betont. Ein Aspekt, der innerhalb der Wissenschaftsdebatte dabei bislang kaum Berücksichtigung findet, ist die Frage nach der Bedeutung der Affekte. Sibylle Blaimer behebt dieses Desiderat und zeigt: Grillparzers Werk, Schreib- und Gattungspoetik bewegt sich im Spannungsfeld von Scham und Peinlichkeit. In fundierter Weise erörtert die vorliegende Studie bestehende Scham- und Peinlichkeitskonzepte und entwickelt hieraus einen affektanalytischen Ansatz, der innovative, wo nicht sogar erstmalige Deutungsperspektiven auf Briefe, Tagebücher, Kunstbetrachtungen und maßgebliche Texte des österreichischen ‚Klassikers‘ gewinnt. Am Leitfaden der unsäglichen Affekte entsteht schließlich das Bild einer bürgerlichen Moderne, die nicht nur an einem peinlichen Mangel krankt, sondern auch die allmähliche Verabschiedung traditioneller literarischer Muster zugunsten einer Literatur erzwingt, die auf Mechanismen affektiver Befremdung setzt.