Das Gesundheitsunwesen
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Ein Gesundheitssystem ist dazu da, eine humanitäre Aufgabe von überragender Bedeutung zu erfüllen: In möglichst vielen Fällen soll es Krankheiten und Gebrechen möglichst rasch und dauerhaft beseitigen oder zumindest lindern, besser noch vorbeugen, damit sie erst gar nicht auftreten. Freie Marktwirtschaft, so versichert man uns, bringt uns diesem Ziel näher: Im Wettbewerb unterschiedlicher Waren und Dienstleistungen setzen sich über kurz oder lang zwangsläufig die besten durch. Denn unter Verbrauchern finden sie naturgemäß die größte Nachfrage. Bei medizinischen Angeboten sei das im Prinzip nicht anders als bei Staubsaugern und Autos, Waschmitteln und Fernsehern. Also bringt die Medizin mit ökonomischer Notwendigkeit zunehmend heilsamere Mittel hervor, die körperliches und psychisches Leid immer umfassender, immer rascher, immer nachhaltiger lindern und schließlich beseitigen. Diese Verheißung beruhigt uns aber nur unter vier Voraussetzungen: 1. Der Verbraucher wählt und entscheidet vollständig informiert: Er kennt alle verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten, ihre Vorzüge und Nachteile, ihre kurz- und langfristigen Wirkungen und Nebenwirkungen. 2. Die Informationsquellen, aus denen der Verbraucher schöpft, sind sauber - unbeeinflusst von Leuten, die an Angeboten verdienen, weshalb sie verständlicherweise darauf aus sind, deren Nutzen überzubetonen, Grenzen und Risiken herunterzuspielen oder zu verschweigen, Wettbewerber abzuwerten und auszuschalten, Kritiker lächerlich und mundtot zu machen. 3. Der Wettbewerb findet tatsächlich statt: Die Anbieter stellen sich der Konkurrenz; Nutzen/Risiko-Vergleiche sind möglich, werden laufend gezogen und publik. 4. Anbieterunabhängige Instanzen stellen sicher, dass diese drei Bedingungen erfüllt bleiben: der Gesetzgeber, Zulassungs- und Aufsichtsbehörden, Gerichte und Medien. Wem schleierhaft ist, weshalb die sogenannte moderne Medizin mit immer größerem technischem und finanziellem Aufwand immer mehr chronisch Kranke produziert, findet hier die Antwort: Unser Gesundheitswesen versagt, weil in Wahrheit keine dieser vier Voraussetzungen erfüllt ist. Und so beleuchtet Wiesendangers Buch einen Markt, der längst außer Rand und Band geraten ist. Auf ihm fällt wenigen Anbietern, weil sie über irrwitzige finanzielle Mittel verfügen, eine schier grenzenlose Macht zu, Verbraucher über Nutzen und Schaden ihrer Produkte umfassend zu täuschen, missliebige Wettbewerber zu diskreditieren, Regulierungen zu verhindern, Gesetze zu umgehen, wirksamen Kontrollen auszuweichen, sämtliche Informationsquellen zu vergiften, Kritiker kaltzustellen, sich alle wichtigen Player gefügig zu machen – zu einem einzigen Zweck: um Gewinne zu maximieren. Unser Gesundheitswesen, man muss es so deutlich sagen, ist weitgehend zu einem Spielball organisierter Kriminalität verkommen – einer wie geschmiert laufenden Versorgungsmaschine, die sich der mit Abstand profitabelste Wirtschaftszweig dieses Planeten, auch zum Entsetzen vieler Ärzte, längst mafiös zurechtstrukturiert hat: die Medizinindustrie. Sie wird damit fortfahren, weltweit. Denn Globalisierung entfesselt den Kapitalismus, solange politische Kontrolle mit ihr nicht Schritt hält. Das zu ändern, erfordert mehr als bloß ein paar zaghafte Reförmchen. Das Versagen des Systems schreit nach Revolution. Und diese Revolution wird ausbleiben, solange wir sie nicht beharrlich einfordern und mittragen.