Selbstreflexivität, Bindung und Psychopathologie
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In der entwicklungspsychologischen Tradition der von John Bowlby begründeten Bindungstheorie sind eine Reihe empirisch evaluierter Konzepte formuliert worden, die zunehmend auch Eingang in die klinische Psychologie und die Psychotherapieforschung gefunden haben. Als besonders bedeutsam hat sich das Konstrukt der (Selbst-) Reflexivität bzw. der metakognitiven Steuerung erwiesen, das psychoanalytische mit entwicklungspsychologischen und affekttheoretischen Modellvorstellungen verbindet. Metakognition bezieht sich auf die Fähigkeit, sich und andere als geistig-seelische - intentionale - Wesen zu repräsentieren, also motiviert von Wünschen, Gefühlen und Gedanken. Metakognition und reflexive Fähigkeiten sind eng verbunden mit der Entwicklung des Selbst und seiner Störungen. Die Fähigkeit zur Reflexivität scheint im Sinne einer „Pufferfunktion“ vor allem einen hohen Erklärungswert für die Verarbeitung traumatischer Erfahrungen zu haben und verantwortlich zu sein für die Fähigkeit zur Regulation und Symbolisierung von Affekten. Empirische Befunde über Zusammenhänge zwischen Selbstreflexivität und Psychopathologie existieren zum einen für die Disposition zu neurotischen Erkrankungen. Zum anderen konnte ein massives Versagen der metakognitiven Kapazität bzw. der psychischen Integrationsfunktion mit schweren Persönlichkeitsstörungen, insbesondere der Borderline-Persönlichkeitsstörung, sowie der Bereitschaft zu destruktiver und mitleidloser Gewalt bei Jugendlichen in Verbindung gebracht werden. Es ist das besondere Verdienst der Londoner Arbeitsgruppe um den Psychoanalytiker Peter Fonagy, dieses komplexe dynamische Konzept der Affektsymbolisierung operationalisierbar und in Form einer zusätzlichen manualisierten Auswertungsmethode zum „Adult Attachment Interview“ auch messbar gemacht zu haben („Reflective Self Functioning Scale“). Die Skala erfasst das Ausmass der Fähigkeit, über das innerseelische Befinden bei sich und anderen in Form von psychologischen Kategorien nachdenken zu können. Die Autorin stellt mit der „Skala des Reflexiven Selbst“ eine deutschsprachige Bearbeitung dieser Methode vor, die auf ihre psychometrischen Eigenschaften und ihren klinischen Erklärungswert für Psychotherapiepatienten überprüft wurde. Sie zeigt ferner auf, dass die Fähigkeit zur Reflexivität sich als Konzeptionalisierung erwiesen hat, die psychotherapeutisch relevante Phänomenbereiche abbilden und in ein theoretisch konsistentes Rahmenmodell integrieren kann. Darüber hinaus werden Bezüge zu inhaltsverwandten Konstrukten beschrieben und diskutiert.