Repräsentation und Autonomieprinzip
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Kant wird normalerweise zu den 'doktrinären' Begründern des rein-parlamentarischen Demokratiemodells gerechnet; schließlich habe er, nicht zuletzt veranlaßt durch den Jakobiner-Terror, die reine Demokratie als Despotie erkannt und im Gegenzug allein die repräsentative Demokratie als mit den Freiheitsrechten vereinbar gewertet. Diese populäre Ansicht bezweifelt Ulrich Thiele in der vorliegenden Veröffentlichung. Er zeigt auf, daß Kant, von Rousseau inspiriert, eine mehrdimensionale Theorie der demokratischen Gesetzgebung entworfen hat, die sowohl parlamentarische als auch plebiszitäre Verfahren zu ihrem Recht kommen läßt. Wenn Kant sagt, die Demokratie »im eigentlichen Verstande des Worts [sei] notwendig ein Despotism«, so ist, wie schon bei Rousseau, das Modell der griechischen Antike gemeint, und es soll zum Ausdruck gebracht werden, daß eine freiheitsrechtliche Demokratie unabdingbar auf strikte Gewaltenteilung angewiesen sei. Die häufig zitierte Formel von der 'despotischen Demokratie' richtet sich demnach nicht gegen Plebiszite, sondern gegen gewaltenverschmelzende Verfassungen. Wo sich Kant dagegen zugunsten der repräsentativdemokratischen Gesetzgebung ausspricht, geschieht dies durchweg unter Hinweis auf Zweckmäßigkeitserwägungen, nicht aber in der Form eines kategorischen praktischen Urteils. Dieser Befund bestätigt sich, wenn man die Kantische Verwendung der Begriffe Staatsform, Regierungsform und Regierungsart näher untersucht. Nicht die unmittelbare Volksgesetzgebung, sondern allein die demokratische Regierungsform widerspricht der republikanischen, d. h. rechtsstaatlichen Regierungsart, weil dort, wo das Volk die exekutive Gewalt (im weiteren Sinne) ausübe, jeder individuelle Rechtsschutz untergraben werde. Die Anwendung staatlichen Zwanges hinge nämlich nicht von Gesetzen, sondern von zufälligen Mehrheitsentscheidungen ab.