Stagnation oder Entwicklung in der Behindertenhilfe?
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Es gibt derzeit wohl nur wenig andere wissenschaftliche Disziplinen, in denen theoretische Erkenntnisse und Praxis soweit auseinander klaffen wie in der Heilpädagogik. Während einerseits Begriffe wie Selbstbestimmung, Inklusion, Normalisierung und Individualisierung die fachliche Diskussion prägen, scheint die Praxis der Hilfen für geistig behinderte Menschen in Konzepten zu verharren, die in den 60er Jahren des zurückliegenden oder genauer betrachtet sogar bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Einer ambitionierten Rhetorik steht eine überwiegend konzeptionelle veraltete Angebotslandschaft gegenüber, die hohe Kosten verursacht und gleichzeitig eine enorme Veränderungsresistenz aufweist. Warum ist dies so und wie können erfolgreiche Reformstrategien aussehen? Der Verfasser versucht einerseits darzulegen, worin die Gründe für diese tiefsitzende 'institutionelle Beharrlichkeit` liegen und gibt Anhaltspunkte zum Verständnis der Mechanismen, die dieser zu Grunde liegen. Als Erklärungsmodell wird dabei der organisationssoziologische Ansatz des Neo-Institutionalismus herangezogen, der insbesondere Legitimationsaspekte im Verhalten von Organisationen untersucht. Im Ergebnis wird ein verändertes 'Institutionsverständnis` in der Heilpädagogik gefordert, das Institutionen nicht mehr als Gebäude sieht, sondern als Regelwerke, die Organisationen strukturieren. Vor dem Hintergrund solcher Analysen wird unter dem Begriff der 'Offenen Hilfen` ein neuer Typus sozialer Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung beschrieben. Dabei werden die Merkmale und Ziele dieser neuen Hilfeform erziehungswissenschaftlich begründet. Der Leitbegriff der Selbstbestimmung wird in ein sozial-ökologisches Modell eingebettet. Selbstbestimmung im Alltag - so die These - ist keine anthropologisch-festgelegte Eigenschaft eines Menschen, sondern muss als Kompetenzbereich individuell erlernt werden. Bestimmte Bedingungen in der Umwelt sind hierfür begünstigend, andere hinderlich. Daraus wiederum werden Regeln und Ansätze formuliert, mit denen das traditionell-institutionalisierte System der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung im Sinne des Vorrangs Offener Hilfen verändert werden kann. Die systembezogenen 'Stellschrauben` für Regelveränderungen werden im wesentlichen in der qualifizierten Verbindung von individueller und örtlicher Hilfeplanung gesehen. Dieses Buch richtet sich an TheoretikerInnen und PraktikerInnen in der Behindertenhilfe, an VerbandsvertreterInnen aber auch an Verantwortliche in Sozialpolitik und Sozialverwaltung.