Wie man Architektur zum Tragen bringt
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Der Bauingenieur Stefan Polónyi ist einer der renommiertesten Vertreter seiner Zunft in Deutschland und darüber hinaus. Nach seiner Übersiedlung aus Ungarn 1956, wo er in einem Turbo-Studiengang an der Technischen Universität Budapest sein Diplom erworben hatte, in die Bundesrepublik Deutschland wurde er nach einigen Jahren Baupraxis bereits 1965 zum Professor an die TU Berlin berufen. Als Hochschullehrer hat er die z. T. fragwürdige Entwicklung der Ausbildung des akademischen Nachwuchses der Bauingenieure kritisiert. In diesem Bereich konnte er ab 1974 als Mitbegründer des sog. Dortmunder Modells an der 1968 neugegründeten Dortmunder Universität einiges bewirken, z. B. hat er die durch die „Verwissenschaftlichung“ der Ingenieurausbildung zunehmende Trennung zwischen Bauingenieur und Architekt stets bekämpft. Die materialgerechte Konstruktion von Bauteilen und Bauwerken und Polónyis öffentliche Auseinandersetzung mit dem Tragverhalten von Stahlbetonkonstruktionen haben sich allmählich zur Forderung nach einem „Paradigmenwechsel“ entwickelt. Seine berühmt gewordene Kasseler Rede zur „Revision des Wissenschaftsverständnisses“ (1986) fordert ein induktives statt eines deduktiven Vorgehens sowohl in der Lehre als auch in der Forschung, womit er das starre Festhalten an der ursprünglich epochalen Elastizitätstheorie, die das Ingenieurwesen heute eher gängelt, kritisiert. Für viele bedeutende Architekten war er immer ein gefragter und geachteter Partner, besonders bei außergewöhnlichen Aufgaben. Seine Aussage: „Der Ingenieur soll dem Architekten nicht sagen, dass etwas nicht geht, sondern er soll ihm sagen, wie es geht“, hat sich schon beinahe zum geflügelten Wort entwickelt, womit er, Polónyi, die Nützlichkeit, aber auch die Unausweichlichkeit der Schwerkraft kommuniziert. Weitere relevante Themen – wie die historische Entwicklung des Bauingenieurberufs und seiner Berechnungsmethoden von Leonardo über Navier bis zu den genialen FEM-Spezialisten, die er kritisch begleitet, flankiert von Denk-Ausflügen in Philosophie, Psychologie, Anthropologie bis hin zur schönen Literatur und zur Musik, verbunden mit ›Entmystifizierung‹ in allen Bereichen – behandelt dieses Buch in nachvollziehbarer, unterhaltsamer und häufig unkonventioneller Weise. Die Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen aus ca. 50 Jahren Entwicklungsgeschichte eines Bauingenieurs liefert Einsichten und ermöglicht Einblicke in das bemerkenswerte, enorme Denkgebäude eines Zeitgenossen. Polónyi meint: In einem lebenden System, das notwendigerweise auf gegenseitigem Vertilgen aufbaut, ist das eigene Dasein – wenn man denn darüber nachdenken kann – eigentlich eine Zumutung. Diese Zumutung hat der Bauingenieur Stefan Polónyi, zunächst „mit zaghafter Konsequenz“, später mit Erkenntnis und Einsichten, aufs Beeindruckendste gemeistert. Davon kann man sich in diesem Buch selbst überzeugen. Doris Greiner-Mai