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Der moderne Staat, seine Werte und das Christentum

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In Deutschland gibt es keine konsequente Trennung von Staat und Kirche. Zwar ist der Staat zu einer religiös-weltanschaulichen Neutralität gehalten. Doch genießen hierzulande die beiden christlichen Großkirchen eine Sonderstellung. Um diese zu rechtfertigen, haben sich nicht nur die Kirchen, sondern auch weite Teile von Politik, Literatur und Rechtsprechung auf eine Formel festgelegt: Die Werte von Staat und Gesellschaft hätten ihre Wurzeln im Christentum. Und weil der Staat nicht indifferent gegenüber seinen eigenen Grundlagen sein könne, dürfe er die Kirchen auch nach Belieben fördern. Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung ist aber alles andere als gesichert. Tatsächlich ist vieles an ihr streitbar. Kann der Staat überhaupt eigene Werte haben? Auf welche Werte kann er sich beziehen? Auch inwieweit die Werte des modernen Staates tatsächlich vom Christentum stammen, ist fraglich. Wie sozial vorbildlich kann z. B. eine Religion sein, die das Gebot der Nächstenliebe zum obersten Prinzip erklärt, sich aber offen zur Sklaverei bekennt? Darf man das kirchliche Inquisitionsverfahren zum Vorreiter moderner rechtsstaatlicher Prinzipien erklären? Die Strafverfolgung von Amts wegen und die Wahrheitsermittlung im Rahmen eines Beweisverfahrens gehen darauf zurück. Und doch führte dieses kirchliche Verfahren in die Folterkammern und Scheiterhaufen der Inquisition. Das Aufzeigen solcher Widersprüchlichkeiten schafft ein Verständnis dafür, dass sich die Frage nach dem christlichen Ursprung der Werte nicht einfach mit ja oder nein beantworten lässt. Es verdeutlicht auch die Schwierigkeit, aus der widersprüchlichen europäischen Geschichte einzelne Stücke herauszubrechen und diese dann zu einer vermeintlichen kulturellen Einheit zu idealisieren.

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2019

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