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Ausgeschriebene Zeit

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Vorwort „Es werden neue Formen von großer Rationalität aufziehen, aber niemand kann mich verpflichten, die Zukunft zu lieben.“ Wolf Jobst Siedler Ein Hauch von Melancholie durchzieht vorliegenden Band, das mag an der Wahl der sechs Kapitelüberschriften liegen, mehr jedoch am Titel der Anthologie. Die leisen Selbstzweifel, ob denn die ausgedachte Wirklichkeit der ungeheuren Wucht, mit der die Realität tagtäglich auf die Menschen einstürzt, standhalten kann, machen das Vorhaben der drei Herausgeberinnen, die sich alle selbst und das nachdrücklich, zu Wort melden, sympathisch. Grundlage für die Lyrik-Sammlung war eine Ausschreibung der Neuen Gesellschaft für Literatur zum Thema „Zeit“, die auch unter Nicht-NGL-Mitgliedern auf große Resonanz stieß. Das ewige Thema als gewichtige Klammer für auseinanderstrebende Biographien und Handschriften, die unterschied-licher nicht sein können. Da steht der ausgesetzte Dichter HEL, der konsequenterweise rein gar nichts von sich preisgibt, neben Hanah Thiede, Sigrun Casper oder Mario Wirz, dessen Märchen-Gedicht endet: „Es war einmal Zeit“. Henryk Bereska, anlässlich von ‘750 Jahre Literatur in Brandenburg‘ aufgestiegen in den Olymp der Musen und Grazien der Mark, erinnert an Zeiten von Verfolgung und Krieg. Der Kalifornier Mitch Cohen dagegen besingt, ganz im Stile der Beach-Boys, die Wiederkehr der Waschpolette, deren Zeit erneut gekommen scheint. Endzeitstimmig blinzeln die Rehe vom Standstreifen der Autobahn zum allerletzten Song von Tom Schulz, während Anne Gollin dem Sputnik und Weltall-Erde-Mensch nachhängt. Wird hier festgehalten, was gerade noch zu halten ist, mit dem Missverständnis aufgeräumt, man müsse die Entwicklung noch immer vorantreiben, auf Reformen und Wachstum setzen, wo uns doch jeder Tag lehrt, dass das Gebot der Stunde bewahren heißt. Verfall und Niedergang sind nicht aufzuhalten, die Zeit ist ausgeschrieben, entleert, stillgelegt, wie Heidrun Voigt in „Schienenstrang“ schreibt. Die trotz der zahlreichen Übersetzungen aus dem Slowakischen typisch Berliner Anthologie, die ihre Spannung aus der überraschend kontrastreichen künstlerischen Annäherung an das Thema bezieht, Lebensentwürfe wie Erfahrungen nicht vordergründig der Ost-West-Herkunft zuschreibt, macht eines deutlich: das Bedürfnis, sich gerade lyrisch mitzuteilen, ist ungebrochen, eine möglichst bleibende Spur zu hinterlassen ein häufig unausgesprochenes Ziel. Die Zeit ist ausgeschrieben, womöglich noch öffentlich, und damit zu einer angebotenen Leistung, einer einzukaufenden Ware verkommen – oder bietet das Ende die Chance eines Neubeginns? Anfang wird immer sein, verspricht das zweite Kapitel. Tief höre ich jemanden seufzen, du liebe Zeit, du ungeliebte einzige Zeit, die wir haben. Und wenn wir das Leben lieben, schreibt Erich Fried, können wir nicht ganz lieblos gegen diese unsere Zeit sein. Wir müssen sie ja nicht genau so lassen, wie sie uns traf. Wolfgang de Bruyn

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ISBN
9783926677372

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2003

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