Ästhetik und Mystik
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Dorothy Richardsons (1873-1957) Romanzyklus Pilgrimage gehört zu den großen Texten der klassischen Moderne, und ist, obgleich es ihm – zumal in Deutschland – noch an der fälligen Aufmerksamkeit fehlt, neben James Joyces Ulysses und Marcel Prousts A la recherche du temps perdu zu stellen. Mit jenen teilt Pilgrimage die Augenblicke epiphanischer Erleuchtung, die den Ausgangspunkt für die Textanalysen dieser Studie bilden. Die close readings im Hauptteil der Arbeit bringen mit der ästhetischen Faktur des Werks einen bislang von der Forschung vernachlässigten Bereich in den Blick. Zugleich kristallisiert sich in den ausgewählten, als Mikroeinheiten definierten Textpassagen eine Rhetorik mystischer Erfahrung heraus, so dass Ästhetik und Mystik in ein Spannungsfeld geraten, wie es gerade bei einem Werk der Moderne nicht anders zu erwarten ist. Die Erforschung des zeit- und lebensgeschichtlichen Hintergrundes, verbunden mit einer systematischen Darstellung der Beziehung Dorothy Richardsons zu den Quakern und mit Blick auf das zu ihrer Zeit ungeheuer erfolgreiche Buch Mysticism von Evelyn Underhill, führt zum Phänomen des „mystical revival“ in England am Anfang des 20. Jahrhunderts. Mit der Erkenntnis, dass sich dieser „new mysticism“ als ein Beitrag zur Moderne verstand, kann schließlich die Diagnose gestellt werden, dass die mystische Erfahrung bei Richardson als Mittel zur Realisierung ihres poetischen Konzepts der „new novel“ dient. Der Romantext bewahrt dabei eine Ambivalenz, indem er einerseits mit theologischen Elementen verbunden bleibt, andererseits zu den ästhetisch herausragend innnovativen Werken seiner Zeit gehört.