Modellbasierter Ansatz zur Bewertung vielfaltsinduzierter Logistikkomplexität in der variantenreichen Serienfertigung der Automobilindustrie
Autoren
Mehr zum Buch
Eine bedeutende Herausforderung für die heutige Automobilindustrie ist die kundenindividuelle Massenproduktion: Kunden stellen zunehmend höhere Ansprüche an Ausstattungsvarianten und Individualisierungsmöglichkeiten beim Kauf von Fahrzeugen. Die damit einhergehenden Herausforderungen sowie erhöhter Wettbewerbsdruck durch Globalisierung und Marktsättigung bei gleichzeitig sinkender Zahlungsbereitschaft der Kunden prägen derzeit das Marktumfeld der Automobilindustrie. Viele Automobilhersteller begegnen diesen Herausforderungen dadurch, dass sie eine Vielzahl an Fahrzeugmodellen und Ausstattungsvarianten anbieten. Die hierdurch steigende Teilevielfalt führt in der gesamten Wertschöpfungskette zu Aufwandssteigerungen, die logistische Prozesse, Ressourcen und Strukturen betreffen. Insbesondere in Logistiksystemen herrscht Intransparenz in Bezug auf die Kosten- und Leistungsauswirkungen der Produktvielfalt. Die Kosten von Produktvarianten sind zu einem großen Teil in den Gemeinkosten – welche über die Hälfte der Logistikkosten ausmachen – versteckt. Mit konventionellen Kostenverfahren werden jedoch Mengeneffekte von zusätzlichen Varianten überschätzt und ihre kostenmäßige Auswirkung unterschätzt. Der im Rahmen dieser Forschungsarbeit entwickelte Bewertungsansatz überwindet die bislang fehlende Verknüpfung zwischen einer gestiegenen Produktvielfalt und den hieraus resultierenden Logistikkosten und Auswirkungen auf die Logistikleistung. Um die statische und die dynamische Komponente von Logistikkomplexität zu integrieren, wurde ein Kennzahlensystem zur Erfassung vielfaltsinduzierter Logistikkomplexität aufgebaut. Zur Quantifizierung wurden eine Zero-base-Analyse und eine vielfaltsinduzierte Prozesskostenrechnung (VD-ABC) entwickelt. Mit Hilfe des VD-ABC werden vielfaltsspezifische Ressourcenbedarfe ermittelt und somit Basis- und Komplexitätsanteile der anfallenden Logistikkosten und Logistikleistung in Abhängigkeit von der Variantenanzahl aufgezeigt. Im Unterschied zu existierenden Ansätzen erfolgt somit die Bewertung von Logistikkomplexität nicht auf der Basis von Schätzungen, sondern entlang der beanspruchten Prozesse, Ressourcen und Strukturen. Um Entscheidungen in unterschiedlichen Phasen des Produktentstehungsprozesses zu unterstützen, wurde im Rahmen einer antizipativen Logistikplanung ein Modell zur Unsicherheits- und Änderungsbewertung entwickelt. Somit ermöglicht der entwickelte modellbasierte Ansatz die Bewertung vielfaltsinduzierter Komplexität in der Beschaffungslogistik. Hierdurch wird die notwendige Transparenz hinsichtlich der Kosten- und Leistungsauswirkungen bei Produktvielfalt geschaffen, um bereits im Produktentstehungsprozess eine logistikseitige Entscheidungsunterstützung zu liefern und somit die Basis für ein effizientes Variantenmanagement zu legen. Die durchgeführten Fallbeispiele bei einem deutschen OEM belegen die Anwendbarkeit der vorgestellten Methode in der Praxis.