Stadttagebücher
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Was denken wir, wenn jemand die Namen von Städten wie den folgenden nennt: Rom, Venedig, Warschau, Singapur, Kuala Lumpur, Tel Aviv, Jerusalem, Lissabon, San Francisco, Las Vegas, Los Angeles, Wien, Paris, Tallinn, Tartu, New York, Moskau, Sankt Petersburg, Barcelona, Genf, Brüssel, London? Die Bedeutungswolke, die über jedem dieser Namen aufsteigt, ist so gewaltig groß, daß niemand in der Lage sein wird, eine allgemeingültige Antwort zu geben. Fast jeder Befragte wird mit einem autobiographischen Reflex antworten, sofern er die Stadt aus eigener Erfahrung kennt. Der eine erinnert sich an einen betrügerischen Taxifahrer, der ihn vom Flughafen in die Stadt gefahren hat, der andere denkt an einen geglückten oder mißglückten Geschäftsabschluß, der dritte an ein mieses oder besonders schönes Hotel oder an ein Projekt, das er in dieser oder jener Stadt verwirklichen konnte, und wieder ein anderer denkt an Menschen, die er dort kennengelernt hat. Manche sind hier vielleicht der Liebe ihres Lebens begegnet oder im Gegenteil, dem finalen Streit. Manche haben hier ihre Flitterwochen verbracht, andere ließen sich hier scheiden. Es gibt bestimmt auch Zeitgenossen, die in dieser oder jener Stadt einen schlimmen Unfall hatten oder ausgeraubt wurden. Sätze wie folgende könnten fallen: 'Das ist eine wunderschöne Stadt!' 'Das ist eine der häßlichsten und gefährlichsten Städte, die ich je besucht habe!' 'In dieser Stadt gibt es nur Müll und Chaos!' 'In dieser Stadt kann man die Zeit vergessen, sie ist so traumhaft altmodisch, daß ich jedesmal weinen muß, wenn ich nur an sie denke!' 'Diese Stadt ist so vital, bunt und laut, daß ich dort endlich verstanden habe, was Leben sein kann!' 'Diese Stadt ist so nüchtern, sauber und vornehm zurückhaltend, daß ich bei einem Aufenthalt dort noch introvertierter und depressiver werde, als ich es schon von Natur aus bin!' 'Man sollte eine Stadt nur nach ihren Hunden beurteilen!' 'Eine gute Stadt zum Shoppen!' Obwohl die Hausansammlungen, Gassen, Straßen und Plätze tatsächlich existieren, besteht jede Stadt für viele zum großen Teil nur aus Erzählungen, Vermutungen, Vorurteilen, Klischees, Wissensfragmenten, Beobachtungen, eigenen Erlebnissen, Bildern aus erster oder zweiter Hand, Träumen, Ängsten und Wünschen. Der Architekt Hans Dieter Schaal, der für viele bedeutende Theater der Welt Bühnenbilder schuf, verbrachte oft viele Wochen in den Städten, die er in diesem Buch beschrieben hat. Er begann, sie auf seinen Spaziergängen zu erforschen, sich in sie einzufühlen und mit ihnen vertraut zu werden. Die subjektiven Beobachtungen des Autors werden von zahlreichen Fakten ergänzt, so daß das Buch ein lebendiges Bild unseres immer mehr von Städten bestimmten Daseins vermittelt.