Harmonia caelestis
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Eine idyllische Familiensaga sollte man nicht erwarten, wenn der Schriftsteller Péter Esterházy die Erbschaft seines klingenden Namens -- \"wer vermöchte all jene süßen Echos aufzuzählen\" -- antritt. Auch der Titel darf nicht irreführen: Harmonia Caelestis heißt eine Sammlung sakraler Gesänge, die Paul Esterházy 1711 in Wien herausgab. In Péter Esterházys literarischer Chronik seiner jahrhundertelang als Inbegriff von Glanz und Gloria geltenden Aristokratenfamilie, die im kommunistischen Ungarn schließlich ihren bitteren Niedergang fand, gewinnt der Titel freilich eine vielschichtig ironische Dimension. Harmonia Caelestis besteht aus zwei großen Teilen: Das erste Buch \"Numerierte Sätze aus dem Leben der Familie Esterházy\" versammelt 371 Textabschnitte, die ohne Chronologie durch die Jahrhunderte springen, ein Vexierspiel aus historischen Episoden, kuriosen Anekdoten, traurigen und heiteren Reverien, in denen der Vater als allgegenwärtige Chiffre fungiert. Die literarische Genealogie vergegenwärtigt noch einmal das \"Esterházysche Feenreich\" (Goethe), als könne sie erst so dessen Entzauberung richtig nachvollziehen. Denn dieser widmet sich das zweite Buch \"Bekenntnisse einer Familie Esterházy\", das von ihrem Schicksal im Ungarn des 20. Jahrunderts erzählt. Es ist die bewegende Geschichte von Enteignung, Unterdrückung und den Versuchen, sich trotz des plötzlich verfemten Namens in der Diktatur zu behaupten. Der Kontrast zwischen dem Alles und dem Nichts, die Falltiefe innerhalb der Familiengeschichte birgt natürlich großes dramatisches Potenzial, das Esterházy mit seinem Reichtum an Stilmitteln meisterhaft in Sprache zu setzen versteht. Dabei sprühen immer wieder -- oft an überraschender Stelle -- humoristische Funken, etwa wenn sich in ein seitenlanges, altes Register wertvollen Mobiliars aus ehemaligem Familienbesitz plötzlich banale Alltagsgegenstände wie \"1 klein schwartz kasstl cum instrumentis scriptorijs, in concreto Kugelschreiber mit Tesafilm umwickelt\" einschleichen. Das scheinbar Spielerische, mit dem sich Esterházy auch in den tragischen Episoden vor jeglichem Pathos bewahrt, harmoniert bestens mit seinem scharfen, ungetrübten Blick für Menschliches und Allzumenschliches, der auch vor dem Grausamen und Lächerlichen nicht zurückscheut. Knapp zehn Jahre schrieb Péter Esterházy an Harmonia Caelestis , seiner schriftstellerischen Bändigung der persönlichen Erblast. Das Ergebnis ist nicht nur wegen der über 900 Seiten ein großes Buch: gleichermaßen literarisches Denkmal einer berühmten Aristokratenfamilie und fassettenreiches Erinnerungsprotokoll, gesättigt mit ungarischer und europäischer Geschichte, Opus magnum, als auch fesselnde Studie der menschlichen Natur in der ewigen Grenzsituation zwischen Herkunft und Zukunft. \"Auch wenn es aus der Wirklichkeit geschöpft wurde, sollte man es lesen, als wäre es ein Roman, und nicht mehr und nicht weniger davon erwarten, als ein Roman zu geben vermag (alles).\" --Mathis Zojer