So begann meine Nachkriegszeit
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Man kann es fast nicht glauben: Vorgänge, Eindrücke, Erlebnisse, Katastrophen, die das Leben vieler Menschen geprägt haben, die uns täglich begegnen, werden verschwiegen, verdrängt, verborgen, überspielt. Jener Moment des „Zusammenbruchs“, der keiner war, jener Mai 45, der konsequete Abschluß einer mindestens zwölfjährigen Entwicklung, schwindet mehr und mehr aus dem Gedächnis der von ihm betroffenen Zeitgenossen. Alle, die heute älter sind als 65, können sich an ihr '45 erinnern. Aber tun sie es? Peter Heilmann hat sich erzählen lassen, was Männer und Frauen noch wissen: von äußeren Eindrücken, von innerer Bewegung, von Hunger und Todesangst, von Wünschen und Hoffnungen, von Heimkehr und Vertreibung, von Aufbruch und Stillstand. Das Überraschende dabei: Geschehnisse, Stimmungen, die Wolfgang Borchert literarisch dingfest gemacht hat, können heute von den Betroffenen offenbar nur unter Mühe berichtet werden. Wer sich daran macht, das Schweigen zu brechen, wird sich bewußt, daß er noch heute unweigerlich von dem gesteuert wird, was er damals erlebte. Aus den Vorbemerkungen In diesem Bändchen erzählen 28 Menschen - 15 Frauen und 13 Männer - ihre Erinnerungen an den Mai 1945. Einige beginnen etliche Zeit - auch Jahre - vorher, andere enden erst später. Der Älteste ist Jahrgang 1910, die Jüngste Jahrgang 1952. Sie haben die unterschiedlichsten Berufe und arbeiten heute bei der Evangelischen Kirche oder ihr nahestehenden Organisationen; vier Geschichten stammen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Berliner Werbefunks. Der Gedanke zu diesem Büchlein entstand im Laufe von Gesprächen, bei denen wir über unsere Arbeit im Jahre 1985 und unseren Beitrag zum 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges nachdachten. Dabei ergab es sich, daß wir anfingen, unsere eigenen Erlebnisse aus dieser Zeit zu erzählen. Über den engeren Arbeitsbereich hinaus baten wir andere, von ihren Erlebnissen zu berichten, sie aufzuschreiben. Die Auswahl der Erzählungen und Berichte ist zufällig und erhebt nicht den Anspruch, repräsentativ zu sein. Zu bedauern ist es, daß es nicht möglich war, unter den damals 20- bis 30-jährigen oder Älteren einen zu finden, der von sich sagt, er sei damals Nazi gewesen. Nicht alle, die wir fragten, konnten sich zur Mitarbeit entschließen. „Ich habe doch gar nichts erlebt“; „meine Geschichte ist zu unwichtig“ oder „meine Geschichte ist zu privat“ waren oft gehörte Einwände. Es gab auch Bedenken und Einsprüche von Familienangehörigen. Allen Beteiligten gemeinsam aber war, daß die Bitte um Mitarbeit Anregung gab, sich noch einmal intensiv mit dem Jahr 1945 zu beschäftigen, in der eigenen Erinnerung zu graben und Verschüttetes wieder hervorzuholen. Typisch scheinen mir Bemerkungen wie: „Das habe ich immer verdrängt“ und „darüber habe ich bisher nicht gesprochen“. Keinem Erzähler fiel es leicht, seine Erinnerungen aufzuschreiben oder auf das Tonband zu sprechen. Für jede und jeden war es mühsam, anstrengend und quälend; Tränen blieben nicht aus.