Arno Camenisch beschreibt in seinem Erstling das Leben von Hirten und Sennen während eines Sommers auf der Alp Stavonas am Fuße des Piz Sezner in der Surselva des Kantons Graubünden. Er erzählt in kurzen Prosastücken von Kühen und Schweinen, Katzen und Hunden, der Polenta und dem Käse, dem Alkohol und den Rauchwaren, von Wind und Wetter, Mann und Frau, den Leuten aus dem Unterland und den Bauern aus den Tälern Graubündens. Dass Camenisch seine Texte nicht übersetzt, sondern auf Rätoromanisch und auf Deutsch schreibt, gibt ihnen ihren ganz eigenen Klang, in der Rauheit und Melodiösität, Kraft und Zartheit eine suggestive Verbindung eingehen. Distanz und Nähe sind auch die bezeichnenden Momente von Camenischs Beschreibungskunst: Alles ist sehr nah und genau gesehen, und doch wird nichts bloßgestellt, kann alles diskret bleiben und sich in seiner Unmittelbarkeit bergen.
Sez NerReihe
Diese Serie taucht in die rohe und doch lyrische Schönheit des Bergdaseins ein. Durch kurze, eindringliche Prosastücke werden die täglichen Erfahrungen, sinnlichen Eindrücke und menschlichen Beziehungen in abgelegenen Alpengemeinschaften erfasst. Die Autoren verweben meisterhaft Naturbilder mit tiefem Verständnis für den menschlichen Geist und schaffen so eine einzigartige Atmosphäre voller Rauheit und Zärtlichkeit. Es ist eine literarische Reise, die die Einfachheit und Widerstandsfähigkeit des Lebens in der Natur feiert.



Empfohlene Lesereihenfolge
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«Protocol, sagt mein Bruder. Bis wir durchs ganze Dorf sind, haben wir fünfundzwanzig Häuser gezählt, acht Heustalls, eine Autogarascha, eine Töffgarascha, den Bahnhof mit der Poscht, zwei Brunnen mit Jahreszahl, die Halla und die Buda vom Tat, eine Telefoncabina, den Kiosk der Mena und vier Abfallconteiners. Als wir angelangt sind am anderen Dorfrand, gehen wir nochmals durchs Dorf und zählen die Leute, die im Dorf wohnen. Nicht zählen dürfen wir die Marionna vom Dorfladen, die nicht im Dorf wohnt, und auch nicht den Tonimaissen, der am Bahnhofschalter steht, aber auch nicht im Dorf wohnt. Es hat einundvierzig oder zweiundvierzig Einwohner. Wir wissen nicht, ob der Tini Blutt ein Mensch ist oder zwei. Das müssen wir noch herausfinden.« Es ist ein kleiner Ort, dem Arno Camenisch nach dem Erfolgsbuch Sez Ner seine Aufmerksamkeit zuwendet, ein kleines Dorf in einem engen Tal zwischen hohen Bergen - und doch sind der Schraubenladen und das Coiffeurgeschäft, sind der Bahnhof und der Stammtisch in der Helvezia die ganze Welt, in der jeder und alles seinen Platz und seinen Namen hat. Es geht ums Zähne klopfen und um die Züge, die ein Mal die Stunde das Tal hinabfahren, um Jasskanonen und Dorftrompeten, um die Sau vom Adolfdallamaria und den Eierlikör vom Dichter, um die Grossmutter, die schief steht, und um die Särge vom Grossvater. Es ist ein Kind, das diese vertraute und zugleich seltsam schräge Welt der Erwachsenen sieht, sein direkter Blick schafft Nähe, es täuscht mit seiner Unbekümmertheit über die Abgründe hinweg, die sich hier auftun. Auch Camenischs zweites Buch besticht durch die Musik seiner Sprache, in der Witz und Ernst, Zartheit und Handfestigkeit eine Verbindung eingehen, die bleibende und berührende Bilder schafft. Atmosphärisch dicht beschreibt Arno Camenisch Verlust und Untergang auf seine ihm ganz eigene eigenwillige Art.
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Ustrinkata
- 96 Seiten
- 4 Lesestunden
Es ist der letzte Abend in der Helvezia, der Alkohol fliesst in Strömen wie der junge Rhein, und wes des Herzen voll ist, des geht der Mund über: Jetzt heisst es Austrinken! Noch einmal sitzen sie um den runden Tisch, der Otto, die Tante, der Luis, der Giachen und mit ihnen all die andern, die noch leben oder schon lange tot sind. Arno Camenisch hört ihren tragischen und zugleich komischen Geschichten genau zu, mit seinem präzisen Sinn für den Klang und die Eigentümlichkeiten ihrer Sprache hält er diese von Tod und Vergessen, von Naturgewalten und menschlichen Abgründen, von Hochwassern und Liebeswirren, von Steinschlägen und Händeln bedrohte Welt lebendig. Auf unverkennbar eigenwillige Art beschliesst Arno Camenisch mit "Ustrinkata" nach "Sez Ner" und "Hinter dem Bahnhof" seine äusserst erfolgreiche Bündner Trilogie - es geht alles zu Ende, aber so lange einer noch erzählt, ist das letzte Glas nicht ausgetrunken.