Qualitäten der Freiheit
Demokratie für übermorgen






Demokratie für übermorgen
Was erfassen wir nicht durch Formen sondern durch Farben? Was erkennen wir durch das Färben besser als durch das Messen und Zählen? Malen gehört zu den ältesten und grundlegendsten Kulturtechniken der Menschheitsgeschichte. Die Arbeit an farblicher Gestaltung, durch die sich das Malen vom bloßen Anstreichen abhebt, bildet dabei ein eigenes visuelles Denken aus. Dieses „Denken der Malerei“, von dem Maurice Merleau-Ponty, Louis Marin, Jean-François Lyotard, Gilles Deleuze und Georges Didi-Huberman sprechen, wäre allerdings als praxisgeleitete Kognition, als verkörpertes Wissen oder als Reflexion medialer Vollzüge zu ungenau verstanden. Angesichts der kulturhistorischen Vielfalt malerischer Praktiken wird es nicht ausreichen, Malerei als Medium, als Dispositiv oder als Formation zu analysieren. Ludger Schwarte untersucht daher in seinem neuen Buch, was wir durch und in Farbe lernen: Was ist die epistemische Bedeutung des Färbens? Schwarte geht von der Hypothese aus, dass Malerei dem auf der Spur ist, was wir nur aufgrund gestalteter Farbigkeit sehen, imaginieren, denken können. Anstatt Farben deshalb wie ein Großteil ästhetischer Theorien nur als Beiwerk, Zierrat oder Träger der Formen abzuwerten, lenkt Schwartes Untersuchung unsere Aufmerksamkeit auf die Plastizität und Interaktivität der Farben. So wird schließlich sichtbar, was sich über die Welt erfahren lässt, wenn wir sie färben.
Gegen die moderne hat sich die zeitgenössische Kunst, auch als ideologisches Projekt, durchgesetzt: Ihr Kennzeichen ist der Stillstand, die Unbeendbarkeit der Gegenwart. Kunstwerke treten als zeitgeschichtliche Dokumente und Bezeugungen des Latenten auf. Wäre Kunst nur vergangene oder Gegenwartskunst, wäre sie überhaupt keine Kunst. Eine Analyse der künstlerischen Kreativität im Unterschied zu anderen ästhetischen Praktiken zeigt: Kunst ist weder historische Vertiefung der Aktualität noch Vergegenwärtigung des Vergangenen. Sie hat einen wesentlich anderen Zeitbezug: Futurität. Die Epoche der zeitgenössischen Kunst geht zu Ende. Sie wird beendet von künftiger Kunst. Anstatt der Dokumentation ihrer eigenen Vorgeschichte wird künftige Kunst mögliche Orientierungspunkte der Selbstveränderung veröffentlichen. Ludger Schwarte (*1967), Philosoph und Literat, lehrt an der Kunstakademie Düsseldorf. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Ästhetik, Politische Philosophie, Wissenschafts- und Architekturtheorie und Philosophie des Rechts.
Zur Wahrheitsfähigkeit der Bilder
In der Geschichte der Philosophie waren Bilder oft dem Verdacht des Lügens ausgesetzt. Dieser Vorwurf unterstellt nicht, dass jemand beim Gebrauch eines Bildes die Unwahrheit sagt, sondern dass die Bilder selbst agieren. Wenn sie lügen können, können sie dann auch die Wahrheit sagen? Viele Kulturtechniken unterstellen eine Wahrheitsfähigkeit der Bilder – ihr Potential der Verifi zierung und Bezeugung. In Bildern wird etwas anschaulich, auf das sich visuelle Formen der Wahrheitsgewinnung stützen können. Das vorliegende Buch versucht eine systematische Bestimmung dieser »pikturalen Evidenz«, auf der die Wahrheitsfähigkeit der Bilder beruht: Bilder »sagen« die Wahrheit nicht, aber sie können Sachverhalte richtig, wahrhaftig, detailreich und überprüfbar präsentieren. Vor allem können sie Aspekte der Wirklichkeit vor Augen stellen, die außerhalb des pikturalen Objekts nicht wahrnehmbar sind. Um diese Wahrheitsfähigkeit präzise zu erfassen, gilt es deshalb, die gemeinsamen Gestaltungseigenschaften von Zeichnungen, Gemälden, Standbildern, Fotos, Filmen etc., sowie ihre Funktionen und Wirkungsweisen ins Zentrum der Analyse zu stellen. Dann zeigt sich, dass die pikturale Evidenz weniger aus der Bezugnahme auf ein Vorbild herrührt, noch aus den ästhetischen Qualitäten der Abbildung, sondern vor allem aus einer Anschaulichkeit, die nur das Bild als ein gestaltetes Ding eröffnet.
'Vom Urteilen' schlägt eine radikaldemokratische Perspektive auf Vorgänge der Rechtsprechung und Kritik vor. Wer bestimmt, wer Recht hat? Was heißt es, eine Situation richtig zu beurteilen? Wer darf urteilen? So lauten die Grundfragen dieses Essays, der von der virtuellen Kriminalisierung eines jeden Rechtsbenutzers in undurchsichtigen Gesetzeslandschaften abgestoßen ist, deren Gesetze zum einen unterstellen, dass sie verständlich genug sind, um von allen befolgt werden zu können, und dass zum anderen nur wenige sie kompetent auszulegen und anzuwenden verstehen. Die hierfür gelieferten Begründungen sind paradigmatisch für alle Felder, in denen die Urteilskompetenz wenigen Experten vorbehalten ist. Gegenüber der Expertokratie hat sich die Kunst als derjenige Bereich etabliert, in dem das Publikum mit vollem Recht urteilen darf. Ästhetische Kritik kompensiert und ermöglicht die Entmündigung im Bereich rechtlichen und politischen Urteilens.
Um eine Revolution zu ermöglichen, müssen Mauern überwunden und öffentliche Räume besetzt werden. Die Rolle der Architektur im Erfolg oder Misserfolg sozialer Ereignisse wird in diesem Werk untersucht. Ludger Schwarte analysiert, wie Architektur durch die Gestaltung von Räumen, Zeiten und Interaktionsmedien kulturelle Grundlagen und soziale Lebenswelten beeinflusst. Er verweist darauf, dass die französische Revolution in neu geschaffenen öffentlichen Räumen stattfand, die für die Formierung revolutionärer Massen entscheidend waren. Schwarte beschreibt die performative Kraft der Architektur und korrigiert die Sichtweise, dass Architektur lediglich ein Disziplinierungsinstrument ist, wie von Michel Foucault dargestellt. Er fordert eine Neubestimmung des Architekturbegriffs an der Schnittstelle von Ontologie, politischer Philosophie und Ästhetik. Zudem verfolgt er die Entwicklung architektonischen Denkens in der Philosophiegeschichte und beleuchtet den Diskurs der Architekturphilosophie, der in den letzten Jahren vor allem im englischen und französischen Raum gewachsen ist. Während dort Architektur als Machttechnik betrachtet wird, lenkt die Untersuchung öffentlicher Räume den Fokus auf die Möglichkeiten freiheitlicher Praktiken und die architektonischen Bedingungen der Demokratie. Die zentrale These besagt, dass Architektur nicht länger als Inbegriff des Könnens, sondern als Ermöglichung verstanden werden sollte.
Der Begriff des Fleisches bildet sich im Zentrum der radikalen Aufklärung. Er zielt auf die Kunst des Wahrnehmens und Erlebens, auf das Experiment mit der Sinnlichkeit, auf die Selbstorganisation. Dieser Begriff des Fleisches zeigt Spuren einer Migration und Mutation der Philosophie: Am Hofe Friedrichs II. fanden libertine Querdenker wie La Mettrie und Boyer d’Argens nicht nur ein Exil, sondern wichtige Anregungen und die Möglichkeit zu freiem Denken, nicht zuletzt an der Akademie der Wissenschaften. Die Tradition der gelehrten Libertinage trifft hier auf Forschungen zur Eigenlogik des Organischen. Beeinflusst von den experimentellen Künsten und Wissenschaften des Barock entwickeln sie eine Auffassung von der Spontaneität der Materie und der Kultivierbarkeit des Fleisches, die noch die zeitgenössische Philosophie nachhaltig inspiriert.
Wie läßt sich verhindern, daß je wieder Lager errichtet werden, in denen Menschen entrechtet, gequält oder gar ermordet werden? Daß diese Frage nach wie vor aktuell ist, belegen auch in heutigen Demokratien noch existierende Lager. Dieses Buch untersucht die bereits von Hannah Arendt entwickelte These, das Lager sei das Paradigma des modernen Raums. Die Perspektive verschärft sich im Zusammenhang mit der Diskussion um die Entstehung der Biopolitik bei Michel Foucault, der die Lager auf Praktiken der Produktion von Leben und die politische Kontrolle von Populationen seit dem 18. Jahrhundert zurückführt. Giorgio Agamben schließlich sieht in den Lagern die Matrix des Raums, in dem wir leben. Die Erörterung der vorliegenden Ansätze wird ergänzt durch Sondierungen der ästhetischen Bedingungen des Funktionierens von Lagern: Was ist ein Lager? Wie ist die Erfahrung des Lagers zu vermitteln? Was bleibt, wenn ein Lager zu funktionieren aufgehört hat?
Der Band eröffnet ein neues Forschungsfeld, das in den Humanwissenschaften große Aufmerksamkeit finden dürfte, da der Körper zunehmend im Fokus steht. In den letzten Jahren wurde die Entstehung des modernen Körpers im Kontext von Distanzierung, Disziplinierung, Sichtbarmachung des Inneren und Selbstbeobachtung untersucht. Dabei blieb die Wechselwirkung zwischen Körperkonzepten und Rechtsbegriffen in Kultur- und Rechtswissenschaften weitgehend unbeachtet. In aktuellen „lebenswissenschaftlichen“ Körperbildungsprozessen spielt das Recht eine zentrale Rolle. Rechtsnormen beeinflussen die Konstitution moderner Körper, Urteile sanktionieren diese, und Rechtsdiskurse prägen das Verhältnis von Körper und Recht. Rechtshandlungen schaffen gesellschaftliche Ordnung, während rechtliche Institutionen Kontinuität erzeugen. In modernen Demokratien ist das Recht ein differenziertes Teilsystem, das in seinen nicht kodifizierten Formen auch performativ wirkt. Die Beiträge des Bandes beleuchten die zentrale Bedeutung des Körpers für das Recht und den Einfluss von Rechtsbegriffen auf Körperbilder, sowohl in der Rechtsgeschichte als auch in aktuellen Debatten über Biotechnologie und Macht. Das Zusammenspiel von Körperbildern und Rechtsbegriffen wird als spezifische Performativität des Rechts beschrieben, was Fragen nach der Würde, den Rechten des Körpers und dem Verhältnis von Recht und Anthropologie aufwirft.