In den späten 1960er Jahren haben Quentin Skinner, John G. A. Pocock und ihre Schüler an der Universität von Cambridge eine neue Form der Ideengeschichte entwickelt. Sie begreifen politische Ideen nicht als überzeitliche Entitäten, sondern als Teil kommunikativer Prozesse in konkreten historischen Situationen. Angeregt durch die Theorie der Sprechakte, interessieren sie sich für die Intentionen und Zwecke, die historische Akteure mit ihren politischen Äußerungen verfolgt haben, und für die Einbettung von Argumenten in »politische Sprachen«. Komplexe Diskurszusammenhänge von Äußerungen auch jenseits der Entwürfe großer Denker sind ihr Thema. Diese Konzeption ist heute einer der einflußreichsten Ansätze zur Erforschung neuzeitlichen politischen Denkens. Der Band präsentiert Skinners und Pococks maßgebliche Texte zur Theorie der Ideengeschichte erstmals vollständig in deutscher Sprache. Darüber hinaus gibt er einen Einblick in die Weiterentwicklung und kritische Modifikation der Cambridge School.
Martin Mulsow Bücher






Prekäres Wissen
Eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit
Die Debatte um die Wissensgeschichte des neuzeitlichen Europas benötigt eine Korrektur, indem auch die prekäre Seite beleuchtet wird: die Unsicherheit bestimmter Theorie- und Wissensbestände, der heikle Status ihres Trägermaterials, sowie die Reaktionen auf Bedrohungen und Verluste. Martin Mulsow verfolgt dieses prekäre Wissen, um dessen Bedeutung für die europäische Wissensgeschichte zu rehabilitieren. In materialreichen Fallstudien, die von der Renaissance bis zur Aufklärung reichen, zeigt er die Taktiken, die Intellektuelle entwickelt haben, um mit diesen Herausforderungen umzugehen – ihre Rückzugsgesten, Ängste, Ermutigungen und Versuche, verlorenes Wissen zurückzugewinnen. Der Fokus liegt nicht auf großen Themen der Metaphysik und Epistemologie, sondern auf Randzonen wie Magie, Numismatik, Bibelinterpretation und Orientalistik. Es geht um Theorien, Furcht und Faszination, sowie um vergessene Gelehrte. Das Buch erzählt spannende Geschichten und bietet eine alternative Ideengeschichte der Frühen Neuzeit. Zudem wird der Begriff des Wissens im Kontext des „material turn“, des „iconic turn“ und der Kommunikations- und Informationsgeschichte neu gedacht. Es enthält zahlreiche, teilweise farbige Abbildungen.
Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680-1720
Bd.1: Moderne aus dem Untergrund & Bd.2: Clandestine Vernunft
- 1126 Seiten
- 40 Lesestunden
Die Ideengeschichte wird in diesem Werk eindrucksvoll und fesselnd vermittelt. Der Autor beleuchtet zentrale Gedanken und deren Entwicklung im Laufe der Zeit, wobei er historische Kontexte und bedeutende Denker einbezieht. Durch lebendige Erzählweise und tiefgehende Analysen wird der Leser auf eine intellektuelle Reise mitgenommen, die sowohl informativ als auch inspirierend ist. Die Verknüpfung von Ideen und deren Einfluss auf die Gesellschaft wird anschaulich dargestellt, was das Buch zu einer wertvollen Lektüre für Interessierte an Philosophie und Geschichte macht.
Überreichweiten
Perspektiven einer globalen Ideengeschichte
Ein Hamburger Arzt macht sich auf die Suche nach türkischen Kampfdrogen; drei Ostindienfahrer mixen in einer Apotheke auf Java ein "unerhörtes" Elixier; der Philosoph Leibniz sucht nach frühesten chinesischen Schriftzeichen; Spanier im peruanischen Potosí müssen sehen, wie in den Minen der Teufel angebetet wird; ein jesuitischer Missionar stösst in Isfahan auf einen östlichen Hermetismus; ein heterodoxer Abenteurer übergibt dem marokkanischen Botschafter ein geheimes Manuskript und ein Vaterunser-Sammler verzweifelt an den Vokabeln der afrikanischen Khoikhoi.Was zeichnet diese vormodernen Pioniere der Globalisierung des 17. und 18. Jahrhunderts aus? Wie gelingt oder misslingt ihnen die Bezugnahme auf die fremden und fernen Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigen? Wie sind die Ideen, die bei ihnen anlanden, durch Raum und Zeit gereist? In seinem neuen Buch deutet Martin Mulsow die Frühe Neuzeit als eine Zeit der Überreichweiten, als eine Epoche, in der Quellen und Nachrichten aus nah und fern sich überlagerten, ohne dass man mit dieser Verdoppelung zurechtkam oder sie manchmal auch nur bemerkte. Es war ein Zeitalter der riskanten Referenz, das Mulsow mitreissend und gelehrt vor unseren Augen entstehen lässt
Das Ende des Hermetismus
Historische Kritik und Neue Naturphilosophie in der Spätrenaissance
Wann ist die Renaissance zu Ende gegangen? Frances Yates hat ihr Ende provokativ präzise mit 1614 angegeben, dem Jahr, in dem Isaac Casaubon die angeblich uralten Schriften des Hermes Trismegistos als spätantike Fälschungen entlarvt hat. Doch Casaubon war nicht der erste, der Argumente gegen das 'Corpus Hermeticum' vorgebracht hat. Schon im Venedig und Padua der 1580er Jahre gab es eine intensive Datierungsdebatte. Neue handschriftliche Funde zeigen, wie komplex bereits die mündlich erörterten Einwände gegen Hermes gewesen sind. Dieser Band dokumentiert die Datierungsdebatte. Die Beiträge von international renommierten Renaissanceforschern stellen sie in den Kontext der neuen naturphilosophischen Entwicklungen um Telesio und Patrizi und offenbaren die ideologischen Interessen von Hermetikern und Antihermetikern. Das 'Ende der Renaissance' und das 'Ende des Hermetismus' sind also erheblich früher anzusetzen als bisher angenommen. Sie erweisen sich als ein langfristiger komplexer Prozeß im Spannungsfeld von philologischer Kritik, philosophischer Spekulation und naturwissenschaftlicher Empirie.
Die drei Ringe
Toleranz und clandestine Gelehrsamkeit bei Mathurin Veyssière La Croze (1661-1739)
- 168 Seiten
- 6 Lesestunden
Wie sieht die Subgeschichte der Frühaufklärung aus? Mathurin Veyssière La Croze war Benediktiner in Paris und dann Bibliothekar des preußischen Königs in Berlin. Er gilt als einer der großen Orientalisten seiner Zeit, zugleich als Kirchen- und Missionshistoriker von Rang. Das Nachspüren seiner Fluchtwege, Netzwerke und intellektuellen Interessen ermöglicht einen Einblick in die Verbindung von gelehrten Debatten mit persönlichen Beziehungen zu Juden, Atheisten oder Sozinianern. Der Leser erhält einen Eindruck von der Vermittlertätigkeit zwischen der Republique des lettres und der „clandestinen“ Welt der Geheimschriften, Glaubensflüchtlinge und Heterodoxien. Den Anlaß zur Nachforschung bietet eine französische Versbearbeitung der Ringparabel, in der die Toleranzfrage im Kontext der Situation der exilierten Hugenotten nach 1685 gestellt wird. Die Suche nach dem Autor der Bearbeitung endet schließlich im Holland der Buchfabrikanten und Refugiés um 1720.
Skepsis, Providenz, Polyhistorie
Jakob Friedrich Reimmann (1668-1743)
InhaltsverzeichnisInhalt: Martin Mulsow/Helmut Zedelmaier, Zur Einführung. - Philosophie und Theologie: Martin Mulsow, Die Paradoxien der Vernunft. Rekonstruktion einer verleugneten Phase in Reimmanns Denken. - Hanspeter Marti, Literärhistorie und Ketzergeschichte. Reimmanns historiographische Toleranz. - Walter Sparn, Omnis nostra fides pendet ab Historia. Erste Beobachtungen zum theologischen Profil des Hildesheimer Superintendenten Jakob Friedrich Reimmann. - Geschichte der Gelehrsamkeit: Helmut Zedelmaier, Aporien frühaufgeklärter Gelehrsamkeit. Jakob Friedrich Reimmann und das Problem des Ursprungs der Wissenschaften. - Ralph Häfner, Homers Dichtung als gelehrte Enzyklopädie. Jakob Friedrich Reimmanns „Ilias post Homerum“ (1728) und seine literaturgeschichtliche Signifikanz. - Barbara Bauer, Der Fortschritt in der deutschen Physik. J. F. Reimmann, ein Vorläufer der Hypothese von Frances Yates. - Philologie und Literatur: Florian Neumann, Jakob Friedrich Reimmann und die lateinische Philologie. - Herbert Jaumann, Jakob Friedrich Reimmanns Bayle-Kritik und das Konzept der Historia litteraria. Mit einem Anhang über Reimmanns Periodisierung der deutschen Literaturgeschichte. - Historie: Uwe Neddermeyer, „Es ist wahr, der Carolus M. hat an seiner Seite nicht das geringste ermangeln lassen.“ Jakob Friedrich Reimmann und das Mittelalter. - Markus Völkel, Topik, Lokal- und Universalgeschichte bei Jakob Friedrich Reimmann (Gröningen 1668 - Hildesheim 1743). - Anhang: Martin Mulsow, Bibliographische Notiz zu Jakob Friedrich Reimmann. - Helmut Zedelmaier, Auswahlbibliographie zum Problemkomplex 'Polyhistorie', 'Historia litteraria' und 'Eruditio' in der frühen Neuzeit.
Monadenlehre, Hermetik und Deismus
Georg Schades geheime Aufklärungsgesellschaft 1747–1760
Die Modernität äußert sich oft im Verborgenen und Verbotenen, was nicht überraschend ist. Dennoch wurde die philosophische Kultur der sogenannten 'clandestinen' Schriften bisher selten in der philosophiehistorischen Forschung, insbesondere in Deutschland, behandelt. Eine Analyse der philosophischen Druckschriften und eine lineare Ideengeschichte reichen nicht aus, um die Innovationsphase um 1700 während der 'crise de la conscience européenne' zu erfassen. Dies erfordert eine detaillierte, disziplinübergreifende Analyse und die Berücksichtigung vielfältiger Quellen wie Manuskripte, Briefe und Traktate sowie ein Gespür für gegenläufige Entwicklungen. Ziel ist es, die komplexen Wege der 'Modernisierung', 'Säkularisierung' und 'Aufklärung' aufzuzeigen, insbesondere durch das Verständnis des radikalen Untergrundes. Diese 'Moderne aus dem Untergrund' war oft experimentell, ungewollt oder ironisch. Die deutsche Frühaufklärung wird als Reformbewegung betrachtet, die sich auf säkulares Naturrecht und antimetaphysische Erkenntnistheorie stützte, ohne extremistische Positionen zu vertreten. Es bleibt jedoch die Frage, wie radikale und religionskritische Schriften in dieser Zeit entstanden sind und wie sie zur dominanten 'moderaten' Aufklärung stehen. Diese Studie rekonstruiert die Entstehung und Verbreitung radikaler Schriften zwischen 1680 und 1720 und beleuchtet das mögliche kohärente Milieu des clandestinen Untergrundes in Deutschland
Frühneuzeitliche Selbsterhaltung
Telesio und die Naturphilosophie der Renaissance
Im 17. Jahrhundert wird der Begriff der conservatio sui (Selbsterhaltung) durch Hobbes und Spinoza zu einem der philosophischen Leitkonzepte der Neuzeit. Doch wie ist es zu dieser Konjunktur gekommen? Das Buch verfolgt die Entwicklung des Begriffs innerhalb der Naturphilosophie der Renaissance, insbesondere bei Bernardino Telesio (1509-1588). Gegen die Interpretationen von Dilthey und Blumenberg und die Schlagworte von 'Stoa-Rezeption', 'Renaissance-Pantheismus' und '-Animismus' wird die Herkunft von Telesios Denken aus der Transformation des Aristotelismus seit dem 15. Jahrhundert vorgeführt. Ausführlich die Kontexte von Medizin, Optik, Astronomie und Theologie berücksichtigend, schlägt die Studie einen Bogen von den 'Oxford Calculatores' und ihrer Rezeption in Italien bis zu den naturphilosophischen Metaphysikern von Patrizi, Bruno und Campanella. Begriffe wie Spiritus, Antiperistasis, Species oder Calidum innatum (Lebenswärme) stellen sich als Impulsgeber für die philosophische Theoriearbeit dar. Und es wird deutlich: neuzeitliche Selbsterhaltung entsteht als 'defensive Modernisierung', nämlich als Naturalisierung spiritualistischer Entwürfe im Norditalien des frühen 16. Jahrhunderts.