Im 'pöbel' oder 'pöfel' erkannten die Gelehrten bereits in der Frühen Neuzeit eine grosse Gefahr für das Gemeinwesen: für die Ordnung des Staates, aber auch für die Konventionen der frühneuzeitlichen Gelehrtenrepublik. Durch Mangel an Arbeitsfleiss und Bildungstrieb stört der Pöbel seitdem immer wieder die soziale Ordnung. Wer oder was aber ist dieser Pöbel, von dem auch die Gegenwart wieder zu berichten weiss? Wer nannte wen wann und aus welchem Grund 'Pöbel'? Roman Widders Studie verbindet Sozial-, Protest- und Literaturgeschichte, um ein fundiertes historisches Verständnis des Pöbels als Verwerfung arbeitender Armut zu entwickeln. Gerade für die Dichtkunst war der Pöbel ein omnipräsentes Problem, weil sich in ihm die Prekarisierung des literarischen Lebens artikulierte. Verstanden als Sprechakt und figura - als Sozial- und Redefigur gleichermassen - fällt die Rede vom Pöbel nämlich auf den Sprecher zurück. Die Exklusion der Ehrlosen aus dem literarischen Gewerbe zeugt deshalb keineswegs von der elitären Autonomie der Urteilenden; sie soll vielmehr den schwankenden Wert der eigenen Rede steigern und bringt so die materiellen Voraussetzungen publizistischer Rede zur Sprache. Der Pöbel als Figur der Poetik korrespondiert dabei in der Frühen Neuzeit mit verwandten Figuren wie dem Pickelhering in der Komödie und dem Pikaro im Roman. In Texten u.a. von Opitz, Gryphius und Grimmelshausen zeigt Widder, dass der Pöbel als Übersetzungsfigur zwischen symbolischem und ökonomischem Kapital zu deuten ist. Dabei rückt besonders die massive Geldentwertung der sogenannten Kipper- und Wipperzeit um 1620 in den Blick, denn bereits hier ist die Überschneidung politischer und literarischer Exklusionsbestrebungen exemplarisch greifbar. Im Zuge der Formierung der bürgerlichen Gesellschaft zu Beginn des 18. Jahrhunderts kommt die Entwertung arbeitender Armut (labouring poor) als 'Pöbel' schliesslich zur vollen Entfaltung
Roman Widder Reihenfolge der Bücher



- 2020
- 2013
Ibissur
Erzählung
Auf den Spuren seiner Vorfahren reist der Spielzeugbauer Osman gen Osten. Der Weg führt ihn nach Südrussland, wo er den Vagabunden Tschepucha kennenlernt. Mit diesem beschließt er, zu einer brachliegenden Fischfabrik am fernöstlichen Ende des sibirischen Landungeheuers zu reisen, um diese instand zu setzen. Unterwegs gabeln sie das einarmige Waisenmädchen Nastja auf, das als stumme Dritte permanent Unruhe stiftet. Das phantastische Ziel der Fischfabrik vor Augen, passieren sie Orte, die eine aberwitzige Wirklichkeit ins Bild rücken, verstricken sich im Dickicht des Redens und kämpfen immer mehr mit der eigenen Sprach- und Lebensmüdigkeit. In seinem virtuosen Debüt erzählt Roman Widder von einer Fahrt durch »Sibirien« als einer Auswanderung, die sich in ihren eigenen Täuschungsmanövern verfängt, von dem Traum, eine »neue Welt« in maximaler Entfernung zur eigenen Herkunft zu finden – oder zu erschaffen.