Die neu kommentierte dreibändige Ausgabe versammelt sämtliche Gedichte von Gertrud Kolmar, einer bedeutenden Lyrikerin der NS-Zeit. Die Ausgabe bietet die Gedichte in der von Kolmar festgelegten Reihenfolge und ohne Eingriffe. Band 1 umfasst frühe Gedichte, Band 2 enthält Werke von 1927 bis 1937, und der Kommentarband enthält Gelegenheitsgedichte sowie einen Essay.
Gertrud Kolmar Bücher
Gertrud Kolmar gilt als eine der bedeutendsten deutschen Lyrikerinnen. Ihr Werk zeichnet sich durch leidenschaftliche Integrität, eine breite Palette an Bildsprache und formale Vielfalt aus. Kritiker räumen ihr einen sehr hohen literarischen Stellenwert ein und würdigen ihre Meisterschaft im lyrischen Kanon sowie ihre unverwechselbare Stimme, die in ihrem Gesamtwerk widerhallt.






Gertrud Kolmar (1894–1943), eine der bedeutendsten Dichterinnen deutscher Sprache, schrieb Prosa, die im Schatten ihres poetischen Werks verborgen und lange verkannt blieb: 1939/40 die Erzählung Susanna (BS 1199) und 1930/31 den eigensinnig packenden Roman Die jüdische Mutter, mit dem es ihr gelingt, schreibt Karin Lorenz-Lindemann, »die schier unlösbaren Probleme jüdischer Selbstbestimmung ... offenzulegen«. Berlin, Ende der zwanziger Jahre. Früh verwitwet, zieht die Fotografin Martha Wolg ihre Tochter allein auf. Sie ist Fotografin. Als sie eines Abends aus dem Atelier heimkehrt, ist Ursula verschwunden. Auch die ausgedehnte Suche nach ihr bleibt erfolglos. Erst am nächsten Tag findet sie »Ursa« in einem Gartenhaus. Das Kind ist vergewaltigt und schwer verletzt worden. Martha trägt es in ein Krankenhaus. Nach wenigen Tagen flößt sie ihm ein tödliches Schlafmittel ein. In der Folge tut Martha alles, um den »Mörder« ihres Kindes zu finden. Schließlich gewinnt sie einen jüngeren Mann für die Suche, der sie rasch wieder verläßt. Verzweifelt gesteht Martha ihm, daß sie selbst die Mörderin ihres Kindes ist – und daß sie ihn, den sie als Werkzeug ihrer Rache nur zu benützen glaubte, liebt.
Diese Erzählung ist von Gertrud Kolmars Biographie nicht zu trennen. Eine ältere Erzieherin, verlassen und im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt, erinnert sich an Susanna, ein Mädchen auf dem Land, die sie vor Jahren betreuen sollte. Susannas vermeintliche Gemütskrankheit erweist sich in der lebendigen Erinnerung mehr und mehr als eine Verrückung der starren Erziehungsprinzipien der Ich-Erzählerin. Sie greifen ins Leere und werden von Dialogen, von Handlungen zwischen Traum und Wachen abgelöst. Und auf der Schwelle von Realität und Imagination, religiöser Tradition und entzaubertem Alltag wird das Judentum zu einem Schlüsselthema — Susanna und die Erzieherin sind Jüdinnen -, und es kommt zu einer rätselhaften Liebesbegegnung zwischen Susanna und Rubin, der, verwirrt und verstört, den kleinen Ort verläßt. Susanna folgt ihm.
Die Briefe von Gertrud Kolmar, erstmals 1970 veröffentlicht, erscheinen hier in einer erweiterten zweiten Auflage und stellen das bedeutendste autobiografische Dokument der in Auschwitz verschollenen Dichterin dar. Bewahrt von ihrer Schwester Hilde Wenzel, die 1938 in die Schweiz fliehen konnte, umfasst der Band auch die wenigen erhaltenen frühen Briefe sowie Korrespondenzen mit Walter Benjamin und Jakob Picard. Im Mittelpunkt stehen die Briefe, die Kolmar ab September 1938 an ihre Schwester schrieb. Diese Briefe entstanden unter dem Druck der wachsenden Bedrohung und wurden für Kolmar zu einer Art Selbstdokumentation. Während sie zuvor persönliche Bekenntnisse vermied und in großer Zurückgezogenheit lebte, öffnete sie sich nun und teilte neben Informationen über die zunehmend ausweglose Lage der letzten Juden in Berlin auch verschlüsselte Einblicke in ihr Erleben, Schaffen und ihre Erinnerungen. Besonders die letzten Briefe vor der Deportation wirken wie ein bewusstes Vermächtnis der Dichterin. Diese Briefe sind nicht nur autobiografisches Zeugnis, sondern auch ein zentraler Bestandteil ihres literarischen Werkes, das es weiterhin zu entdecken gilt.
Welten
Gedichte
Von August bis Dezember 1937, in einer Zeit wachsender Entrechtung und Bedrohung, schrieb Gertrud Kolmar den Zyklus Welten. »Die einzigartige, beinahe übermenschliche Leistung Gertrud Kolmars ist, noch im Augenblick der tödlichen Gefahr, der aussichtslosesten Lebenssituation den Ausbruch, den Übergriff zu riskieren, in sich ein Freiheitsfieber zu entfachen, das uns noch heute - und zu unserem Glück - infizieren kann.« Gerlind Reinshagen
Gedichte
- 186 Seiten
- 7 Lesestunden
Gertrud Kolmar, 1894 in Berlin geboren, 1943 als Jüdin deportiert. Ort und Datum ihrer Ermordung sind unbekannt. Weithin unbekannt geblieben ist auch das Werk dieser seit Annette von Droste-Hülshoff vielleicht größten deutschen Dichterin, obwohl es seit dreiundzwanzig Jahren als Gesamtausgabe vorliegt. Dabei hat Gertrud Kolmar zu keiner Zeit für die happy few, die Lyrikkenner und Germanisten, geschrieben. Gedichte waren lebensnotwendig für sie. Und so besticht auch nicht allein ihr strenges Formbewusstsein; es ist ihre rückhaltlose Ergriffenheit, mit der sie alles durchdringt, die den Leser in ihre poetische Welt einbezieht. Man mag Gertrud Kolmar als traditionell bezeichnen, konventionell ist sie nie. Es sind im besten Sinn des Wortes zeitlose Gedichte, die sich in der Klage um den verlorenen Geliebten, das ungeborene Kind, das unbehauste Volk der Juden, in Visionen von Tier und Rose der Wirklichkeit versichern, indem sie weit über sie hinausgehen. Wer von der Dichtung mehr erwartet als neue Stoffe und formale Experimente, wer in den Zeilen eines Gedichtes den Menschen sucht, den erbarmungswürdigen, um Liebe und Mitleid flehenden Menschen, der wird die Gedichte Gertrud Kolmars mit der Erschütterung lesen, die jede große Dichtung auslöst. Ulla Hahn



