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Aus dem Vorwort von Mirjam Bercovici-Korber Der Alptraum ist noch immer lebendig Es ist seither so vieles geschehen, dass ich glaube, heute einen objektiven Überblick über all das Vergangene und so schwer Erlebte jener Zeit haben zu können. Eigentlich handelt es sich im folgenden nur um einige von vielen Erlebnissen eines Mädchens jener Zeit, das brutal aus seiner Umwelt, aus Elternhaus und Heimat herausgerissen, von Verwandten und lieben Freunden, von gewöhnlichen Beschäftigungen wie Schule, Literatur, Klavierspiel und anderem abgeschnitten wurde. Es ist sicher, daß es unzählige Aufzeichnungen dieser Art und vielleicht wertvollere geben dürfte, aber jede einzelne hat ihre eigene Bedeutung. Natürlich ist hier nicht die Rede von Literatur, sondern von einem Zeitzeugnis aus einer schrecklichen Zeit. Am 20. Oktober 1941 kam der Befehl zur Aussiedlung aller Juden aus Cimpulung - ein Traumstädtchen in den Bergen der Bukowina -, das niemals unter sowjetischer Herrschaft gewesen war, was eventuell diese Aussiedlung gerechtfertigt hätte. Drei Tage im Viehwagen zusammen mit 40 Menschen - Kinder, Alte und Todkranke - hat die Reise bis Ataki am Ufer des Dnjestr gedauert. Dort wurden wir vor eine grausame Wirklichkeit gestellt und mußten entdecken, dass wir keine Menschen mehr sein sollten, dass uns niemand mehr braucht, dass wir ohne jedwede Hilfe der Willkür und Hetze ausgesetzt sind, und daß wir zuletzt, auch wenn man uns nicht hinrichtet, vor Hunger, Krankheit und Schmutz sterben werden. … Von den 4.800 Menschen aus der Bukowina, die im Getto von Djurin ankamen, sind meines Wissens nur etwa 800 zurückgekehrt. Ein einziger wurde bei einem Fluchtversuch erschossen, alle anderen sind durch Typhus, Dysenterie, Kälte, Schmutz, Elend und Hunger gestorben oder einfach, weil sie nicht mehr leben konnten. - Im Herbst 1967 habe ich die Friedhöfe von Djurin und Mogilew besucht. Ärzte hatten mir geraten, auf diese Weise meine Schlaflosigkeit und Alpträume zu heilen. Damals habe ich viele Gräber von Verwandten und Bekannten und wahrscheinlich auch das Massengrab gesehen, wo meine lieben Großeltern begraben sind. Im April und Mai 1944 war ich nach einem zweiwöchigen Fußmarsch nach Rumänien zurückgekehrt, habe tatsächlich die Erde geküsst, habe wieder zu hoffen gelernt und im Ernst geglaubt, dass endlich alles gut sein wird. Ich habe studiert, bin Kinderärztin geworden, habe geheiratet und habe Kinder. Nur leider ist der Alptraum noch immer lebendig, besonders in letzter Zeit, und er quält sehr oft nicht nur meinen Schlaf, sondern auch mein Wachsein. Bukarest, im Juli 1992