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Der "Geist von 1914" und die Erfindung der Volksgemeinschaft

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Jeffrey Verhey weist nach, daß es den militärischen und politischen Eliten gelang, den „Geist von 1914“ in ein Instrument zur Umwandlung divergierender Massen in eine entschlossene, kriegsgeeignete Volksgemeinschaft umzudeuten. Daß es „Russenköpfe regnen und Franzosenköpfe schneien“ möge, war im Herbst 1914 in Deutschland ein Wunsch, der, ebenso wie die Begrüßung „Gott strafe England“ und die Erwiderung „Er strafe es“, zur Alltagssprache gehörte. Das Feindbild war klar und die Einheit der Deutschen, wie es schien, unerschütterlich. Hatte es doch zu Beginn des Krieges zahlreiche Begeisterungskundgebungen gegeben, die bisweilen die Grenze zur Hysterie und Ekstase streiften. Deutschland sei, so heißt es noch bis heute, wie erlöst von der Aussicht gewesen, sich nun endlich der Mißgunst und Angriffe des Auslands erwehren zu dürfen. Und in der Tat herrschte eine große Kriegsbegeisterung, allerdings war sie nicht die alleinige, ja nicht einmal die vorherrschende Reaktion auf die deutsche Kriegserklärung. Stärker verbreitet waren, insbesondere in den kleineren Städten und auf dem Land, das Gefühl der Unruhe, der Angst und sogar der Panik. Woher rührt dann aber das tradierte Bild vom „Augusterlebnis“? Was verbirgt sich hinter diesem Bild und wofür steht es? Jeffrey Verhey weist nach, daß schon bald nach Kriegsbeginn auch nur entfernt kritische Stimmen unterdrückt und ein „Geist von 1914“ beschworen wurde, der den Kriegszielen förderlich war: Wie im August 1914 bedürfe es, so die Propaganda, einer festen Gemeinschaft und großer Entschlossenheit, um den deutschen Sieg sicher zu machen. Es war keineswegs nur das Militär oder die politische Rechte, die sich mit der Forderung „Zurück zum Geist von 1914“ eines nach den eigenen Bedürfnissen geschaffenen Narrativs bedienten. Auch liberale und linke Parteien trugen zum Mythos von der im „Augusterlebnis“ zutage getretenen nationalen Einheit bei, indem sie sich - den Zeitgeist und die eigene politische Anerkennung fest im Blick - auf die Einheit beriefen und als Beleg für die Notwendigkeit von Reformen im mündig gewordenen Deutschland interpretierten. Durchzusetzen vermochten sie sich mit dieser Sichtweise gleichwohl nicht, wie der Autor unter Auswertung einer Fülle von Material zeigt. Erfolgreicher waren hier konservativ-reaktionäre Kräfte, die angesichts der drohenden Niederlage an diesen „Geist“ appellierten, nunmehr verstanden als Manifestation der Volksgemeinschaft, als Metapher eines unbedingten und darum erfolgreichen Siegeswillens. Auf welche Resonanz dieser Appell trotz der Niederlage stieß, machte die Bereitschaft deutlich, mit der man in Deutschland der Dolchstoßlegende Glauben schenkte und daraus die Lehre zog, nur die Einheit von innerer und äußerer Front gewährleiste den Sieg. Was im August 1914 als Versuch einer Sozialintegration begonnen hatte, war nun zur Legitimation der Notwendigkeit einer Frontgemeinschaft geworden. Für den nächsten Krieg war damit, wenn nicht die Kriegsbegeisterung, so doch die konsensuale, rechtliche und humanitäre Beschränkungen weitgehend ignorierende Kriegsentschlossenheit programmiert. Jeffrey Verhey, Dr. phil, 1961 in den USA geboren, arbeitet zur Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Er war Lehrbeauftragter an der Universität von Kalifornien und der Freien Universität Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Aufsätze zur Geschichte des Ersten Weltkriegs und zur Propagandageschichte.

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ISBN
9783930908585

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2000

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