Schall und Rausch
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Joseph Roth war kein Musiker, der auf einem Instrument mehr recht oder auch bloß ausreichend dilettieren konnte. In ärmlichen Verhältnissen im galizischen Brody aufgewachsen, gab es kein bildungsbürgerliches Klaviermöbel, das in der guten Stube zum Musizieren einlud. Die Mutter, die drei Kinder allein aufziehen musste, hatte kein Geld für derartigen Luxus, dafür aber eine schöne Stimme, die sie vor allem den traurigen, ukrainischen Volksliedern schenkte. Das war Joseph Roths musikalischer Bildungsgang. Und mehr war auch nicht vonnöten, sich in seiner unnachahmlich pointierten Art der Musik und vor allem den Musikern zu nähern. In einem seiner ersten Zeitungstexte aus dem Kriegsjahr 1918 präsentierte Roth den Lesern einen Beistand vom Fach und erwähnte anlässlich der Generalprobe einer neuen Lehár-Operette mehrmals in einem Zwiegespräch mit jenem Freund, das selbiger „was von der Musik versteht.“ Da war Roth also fein raus und konnte, falls es fachlich brenzlig werden sollte, fundierten Rat einholen: „Ich sagte: Wir wollen sehen, wie sich der Meister Lehár in diesen schweren Zeiten künstlerisch entwickelt hat! Mein Freund, der was von Musik versteht, sah hin und sagte: Er ist unberufen dick geworden!“ Dieser Freund, ob frei erfunden oder nicht, taucht später in keinem von Roths Feuilletons wieder auf. Er hatte seine Schuldigkeit getan und den Autor als berufenen Unberufenen in Sachen Musik und den diese hohe Kunst Ausübenden eingeführt, der hinfort allein auf seine geniale Beobachtungsgabe, sein feines Gehör für falsche Töne und einen scharfen Blick auf die Akteure vertrauen konnte. In einer Besprechung aus dem Jahr 1928 findet sich folgende Analyse von Roths Feuilletonstil: „Er beschreibt Menschen. Er beschreibt mit einer wunderbaren, gebändigten Besessenheit. In wenigen Situationen ist mehr Schicksal als in abenteuerlichen, verschlungenen Lebensläufen. Man könnte sagen, er photographiert — aber wenn er es tut, wo steht er? Inwendig im Menschen blitzt sein scharfes Objektiv, und von innen her entwickelt er die Leiblichkeit seiner Gestalten. Seine Methode ist nicht analytisch, nicht psychologisierend, sondern der große Querschnitt und die Totalität mit Hilfe der Dialektik. Das könnte eine kalte intellektuelle Atmosphäre erzeugen, wäre dahinter der Schmerz nicht spürbar.“ Und die Liebe – muss man freilich ergänzen. Joseph Roth schrieb über Caruso, den Gefahren von Schuberts H-Moll-Symphonie, den Aida-Rummel – über den aufkommenden Jazz, Kinopianisten, Volksmusik aus aller möglichen Herren Länder und das musikalische Geschehen auf den zahllosen Varietébühnen Deutschlands in den 1920er Jahren sowieso. Dabei machte er den großen Musikkritikern der Zeit, etwa Paul Bekker, Adolf Weissmann oder Oskar Bie, freilich keine Konkurrenz. Das waren ausgefuchste Männer des Metiers, die Musik studiert hatten, Partituren lesen konnten und die Stücke nach allen Regeln der Musikwissenschaft auseinandernahmen, um ihrem Sinn- wie Freudgehalt herauszuarbeiten. Joseph Roth hingegen ließ sich als aufmerksamer Laie überraschen oder zog überraschende Schlüsse aus allgemein bekannten Tatbeständen. Sein Portrait von Caruso, das nicht den Tenor ansich, eine durchaus fragwürdige Spezies mit einer „in ihren Hals verirrte Sonntagsglocke“, würdigt, sondern den Künstler Caruso, dem eben auch ein gerüttelt Maß an Menschlichkeit eigen war, ist an Wahrhaftigkeit nicht zu übertreffen.