Interpretation und Lebensroman
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Mittlerweile gibt es in der Literaturwissenschaft zwar vielfältig Erklärungen, wie Produktion und Rezeption von Literatur als historische und gesellschaftliche Phänomene zu denken wären, man hat aber wenig genaue Vorstellungen davon, was beim Schreiben und Lesen von Literatur im eigenen »Kopf« und gerade auch in den »Köpfen« der anderen (der Autoren, der Leser) vorzugehen scheint. Eine zentrale These dieses Buches lautet: Wir nehmen die Welt und die Literatur wahr in einer endlos autobiographischen Tätigkeit; Wirklichkeits-Konstruktionen (und Textbedeutungen) werden in einem Prozeß der Selbstbeschreibung erzeugt und aufrechterhalten. Die konstruktivistische Parallelität von Wahrnehmung, Erkenntnis, Wissen und schließlich auch von Interpretation zeigt: die genauere Untersuchung der »Gegenstände« von Welt und Literatur bringt primär die Eigenschaften von Beobachtern zum Vorschein, nicht die der »Gegenstände«. Wir entdecken nicht die »Realität« oder die der »Realität« opponierende ästhetische Gegensetzung, sondern die eigenen Wirklichkeits-Konstruktionen. Die Diskurs-Regeln, die Konstruktions-Regeln, die Konventionalität, die Kompetenz, aber auch der Mut und die Ängste des Literatur-Beobachters kommen jetzt verstärkt zum Vorschein – und nicht »Texte« als inhaltlich weitgehend stabile Vorgaben.