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Das Mephisto-Prinzip

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Niemand hatte ihn gewollt oder herbeigerufen. Er kam einfach und blieb. Peu à peu schlich er sich in die alte feudalistische Ordnung ein, höhlte diese von innen aus und hielt sich bis zum heutigen Tag hartnäckig am Leben. Im Gegensatz zu seinen Mitbewerbern Sozialismus, Wohlfahrtsstaat und Nationalsozialismus (und ihren diversen Abkömmlingen) dachte sich den Kapitalismus niemand aus. Hätte es jemand getan, wäre er vermutlich für verrückt erklärt worden. Die zahllosen Werke über ihn versuchen, ihn zu analysieren, zu erklären, zu interpretieren, zu kritisieren - aber keines könnte ein Urheberrecht auf den Kapitalismus anmelden. Wahrscheinlich können ihn genau deshalb so viele Intellektuelle nicht ausstehen. Er kränkt sie, weil er sie ignoriert. Dieses Wirtschaftssystem hat vor nichts Respekt. „Der Kapitalismus“, schreibt der Soziologe Karlheinz Messelken, „ist die institutionalisierte Versuchung zu moralischer Niedrigkeit. Wo er den Ton angibt, da löst sich der einzelne aus Ordnungen, die ihn übersteigen und sich seiner Person zu einem höheren Zweck bedienen, da hört der einzelne auf, ein dienendes Glied zu sein, und stellt sich ganz auf seine Selbstsucht.“ Diese Verlockung zum hemmungslosen Gütergenuß ist den Anhängern von himmlischen oder weltlichen Heilslehren von jeher ein Graus, denn ihr ewiges Ziel ist es, die Begierde des Fleisches unter die Herrschaft des Geistes zu stellen. Die intellektuellen Glaubenskämpfer können es nicht ertragen, wenn Produzenten und Händler in der Gesellschaft einen Rang einnehmen, der doch eigentlich ihnen, den Sinnstiftern, gebühren sollte. So verdammen sie den Kapitalismus aus rechten oder linken, christlichen oder muslimischen Motiven und machen ihn für alle Übel dieser Welt verantwortlich. Dabei ergeht es dem Kapitalismus wie vielen Kinofilmen: Im Feuilleton hagelt es Verrisse, aber das Publikum ist begeistert. Überall dort, wo die Bevölkerung die freie Wahl hat, entscheidet sie sich früher oder später für den Kapitalismus. Um die unwiderstehliche Anziehungskraft dieses auf Eigennutz und Geldgier beruhenden Systems zu erklären, sollten wir es einmal an den Maßstäben seines ärgsten Gegners messen - des Sozialismus. Wofür wollten die hohlwangigen Proletarier der Käthe Kollwitz einst die Welt aus den Angeln heben? Für ein besseres Leben, für das Volkseigentum an den Produktionsmitteln, für Frieden und gegen Nationalismus. Ein Jahrhundert später hat sich zur allgemeinen Verblüffung einstiger Revolutionäre herausgestellt, daß ausgerechnet der Kapitalismus all diese Ziele verwirklichte. Tausendmal totgeschrieben, hat er sich durch alle Krisen und Katastrophen geschlängelt und erfreut sich bester Gesundheit. Gehen wir einmal die Punkte im einzelnen durch. Utopie Wohlstand: Der Kapitalismus hat nicht nur die Kapitalisten reich gemacht, sondern Milliarden von Menschen materielle Standards ermöglicht, von denen ihre Großeltern nicht zu träumen wagten. Wenn August Bebel geahnt hätte, daß die Nachfahren der proletarischen Klasse 82,6 Milliarden Mark jährlich auf Urlaubsreisen im Ausland verjubeln werden (Deutschland 1998), wäre ihm die Marktwirtschaft vielleicht in einem freundlicheren Licht erschienen.

Parameter

ISBN
9783453861367
Verlag
Heyne

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