Vom Wuchern
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Der Leipziger Lyriker Tim Holland, geboren 1987 in Tübingen, studierte nach einer Ausbildung zum Buchhändler am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Seine Texte wurden in diversen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht und waren in verschiedenen Ausstellungen zu sehen. Mit dem Band vom wuchern legt er nun sein Debüt vor, das man in seiner Form als durchaus ungewöhnlich bezeichnen kann. Das Buch besteht aus den beiden Teilen nachdernacht und theorie des waldes, wobei der erste wie eine Landkarte gestaltet, der zweite ein eingelegtes Heft ist. Bei nachdernacht handelt es sich um einen raumgreifenden lyrischen Text, der die »Poesie der Fläche« (Franz Mon) neu auslotet und das Verhältnis von Schrift und Fläche untersucht. Das Grundgerüst bildet dabei ein Zyklus an Pantumen, Texten also, die in einer alten, ursprünglich malaischen Strophen-form gebunden sind. Das Pantum wurde ursprünglich zu festlichen Anlässen mündlich vorgetragen, im 16. Jahrhundert erstmals schriftlich fixiert und fand im 19. Jahrhundert auch bei Schriftstellern in Europa Anklang. Das Pantum zeichnet sich durch ein strenges Wiederholungsmuster der Strophen-form aus. Die zweite und vierte Zeile der vierzeiligen Strophen werden zur ersten und dritten Zeile des darauffolgenden Vierzeilers. Die Strophenzahl – und damit die Länge des Gedichtes – ist variabel. Durch die zyklischen Wieder-holungen der einzelnen Zeilen entsteht ein Ringelreihen, und durch die Verknüpfung mit hinzukommenden Zeilen gehen die Verse immer neue Sinnzusammenhänge ein. Das Ende des Pantums findet sich in der Aufnahme der ersten und dritten Zeile des ersten Vierzeilers. Wo sonst das Gedicht frei auf der Buchseite steht, lagern sich bei der Textfläche nachdernacht prozessual weitere Sprach- und Satzpartikel am einzelnen Text ab, ergänzen und kommentieren. Die hoch verdichtete Gedicht-form wird aufgesprengt, Verse werden wiederholt, remixed und weitergesponnen. Zum Teil inhaltlich assoziativ, zum Teil lautassoziativ und anagrammatisch, entfaltet sich der Text und spannt sich auf zu einem Netzwerk, das keinen eindeutigen Anfang oder Ende vorgibt. Der Leser muss sich selbst im Textgeflecht orientieren. »Ein textliches Wurzelwerk soll entstehen, in dem die einzelne Zeile zu oszillieren, der Text zu zittern beginnt«, so der Autor. »wald ist die neue weltordnung« lautet die letzte Zeile von theorie des waldes, ein ähnlich experimentell angelegtes und doch ganz anderes ›Textnetzwerk‹ des Lyrikers. Ergänzt durch Zeichnungen des Autors ›wuchern‹ und ›ver-wurzeln‹ sich hier auf 32 Seiten verschiedene Textstränge, die in ihrer Kombi-nation wie bei nachdernacht ein Konglomerat bilden. »Wo nachdernacht endet, beginnt die theorie des waldes. Die theorie des waldes unterläuft Erwartungen. Weder ist sie Theorie noch Gedicht. Sondern eine hybride Textform, die in sprachspielerischen Bewegungen ihre Umwelt erkundet [...].« (Tim Holland)