Nichts stört die Bewältigung von Alltagsproblemen mehr als die intensive Wendung zur Frage nach dem tiefsten Grund und der letzten Bestimmung der Dinge. Aber war die Philosophie mit ihrer starken Selbstreflexion nicht immer schon ein bisschen morbid, gemessen am robusten Realismus des täglichen Lebensvollzuges? Dennoch könnte es vielleicht ratsam sein, sich die philosophische Krankheit der Sinnsuche wenigstens für eine kurze Weile zu leisten, um dann mit mehr Vertrauen und Gelassenheit zur nüchternen Alltagswelt zurückzukehren.
Bernulf Kanitscheider Bücher






Im Laufe der Jahrmillionen hat die Natur eigenständige Strukturen und Gebilde hervorgebracht, die den Eindruck erwecken, als habe sie sich ihrer eigenen Stofflichkeit entfremdet. Sind diese Schatten der Materie ein Zeichen für die Grenzen einer naturalistischen Verfassung alles Seienden oder nur Ausdruck des schöpferischen Potentials der Natur? Bernulf Kanitscheiders Antwort ist klar: Unser Universum ist eine Welt der Materie und der Stoff, aus dem diese Welt besteht, ist weder träge noch tot, sondern lebendig und kreativ. Deshalb braucht es auch keine übernatürlichen Kräfte, um das Geschehen zu erklären; mit der Idee der „Selbstorganisation“ läßt sich ein schlüssiges Bild von der Welt zeichnen (und selbst ein Phänomen wie Virtualität kann sich dieser Erklärungsmacht nicht entziehen). Bernulf Kanitscheider bringt die naturalistische Sicht der Dinge näher, erläutert ihre Varianten und stellt uns die Tradition vor (fast ausschließlich Denker der Antike, denn die folgende christlich geprägte Epoche bevorzugte eine ganz andere Sicht auf Mensch und Welt). In einem eigenen Kapitel wendet er sich der Praktischen Philosophie zu und erörtert, was eine naturalistische Philosophie auf die Frage „Wie sollen wir leben“ antworten könnte.
Das Buch hat das didaktische Ziel, die philosophischen Folgerungen naturwissenschaftlicher Theorien, Beobachtungen und Experimente ohne formale, technische Hilfsmittel darzustellen. Der Leser wird zunächst an das Fach Naturphilosophie herangeführt, wobei geklärt wird, wie sich diese Art der philosophischen Reflexion einerseits von allgemeiner Wissenschaftstheorie und andererseits von idealistischer Spekulation über die Natur unterscheidet. Anschließend werden die Hauptthemen heutigen Nachdenkens über die Natur vorgestellt: Struktur und Existenzweise von Raum und Zeit, der Aufbau der Welt im Großen, die Symbiose von Kosmologie und Teilchenphysik, die Deutung der rätselhaften Quanten sowie die überraschend lebensfreundliche Feinabstimmung der Welt, die unter dem Namen des Anthropischen Prinzips bekannt geworden ist. Der letzte Abschnitt widmet sich ausführlich der Auseinandersetzung von Naturwissenschaft und Theologie. Das Resultat aller Überlegungen des Buches besteht in der Verteidigung eines philosophischen Weltbildes, das in Richtung auf eine naturalistische Anthropologie orientiert ist.
Dieses Buch möchte in die Wissenschaft von der Welt im Großen einführen, in die Geschichte und Systematik der Kosmologie. Diese ist als Teilbereich der Physik von großer Tragweite für zentrale philosophische Fragestellungen. Seit den Vorsokratikern interessiert die Menschen, welche Stellung sie im Universum einnehmen und welchen Grad an Verstehbarkeit die Natur besitzt. Die Naturwissenschaft Kosmologie hat es also auch immer mit Anthropologie und Erkenntnistheorie zu tun. Kanitscheiders Buch ist ein Beitrag zur Philosophie der Natur.
Noch immer gestaltet sich die Verständigung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften äußerst schwierig, und die Spaltung des Wissens in zwei 'Kulturen' stellt ein echtes Problem dar. Die Grenzen werden mittlerweile zwar immer durchlässiger, die Fronten aber bestehen weiter. Dabei nehmen die Vertreter beider Denkrichtungen nicht nur oftmals kaum Notiz voneinander, sie dehnen mittlerweile ihre Deutungs- und Erklärungsangebote auch weit in das jeweils angrenzende Arbeitsfeld hinein aus. So neigen Geisteswissenschaftler manchmal dazu, die Welt insgesamt als geschichtlich-sprachliches Kulturphänomen anzusehen, während Naturwissenschaftler selbst die Kultur für ein Stück wissenschaftlich erforschbare Natur halten. Bei solcher Betrachtungsweise ist es verständlich, daß die Erfolge und Anliegen der jeweils anderen Seite nur unzureichend zur Kenntnis genommen werden. Umso notwendiger ist es deshalb, Möglichkeiten des Dialogs aufzuzeigen, ohne die kontroversen Positionen zu verharmlosen.
