Ausblicke
Wahrnehmungen und Reflexionen






Wahrnehmungen und Reflexionen
Den Titel hat die Sammlung von der altetruskischen Stadt, bekannt für ihr Guarnacci-Museum etruskischer Altertümer mit ihren Assoziationen von Bestattungsriten und Unterweltsmythologie. Den englischen Texten sind deutsche Übersetzungen gegenübergestellt; ein Anhang bringt zweisprachige Anmerkungen und ein Nachwort zur Übertragung von Gedichten durch ihren Autor.
Lesen: Bildungspflicht oder Vergnügungen? Warum liest man? Warum liest man das, was man liest und nicht anderes? Und der Autor – warum schreibt er, und für wen? Denkt er an seine Leser, wenn er schreibt, setzt er sich über sie hinweg? Und der Text: ist er das, was der Autor wollte, daß es sei, oder was der Leser beim Lesen daraus macht? Das Buch erörtert diese Fragen – nicht theoretisch-systematisch, sondern anhand von Erfahrungen. Erfahrungen mit Werken, Autoren und Aufnehmenden, in der Literatur, Musik und bildenden Kunst. Es erörtert sie in wechselnden Formen, vom Arbeitsjournal über Brief, Rede und Essay bis zum Dialog und zur Entfaltung im szenischen Vorgang. Der Verfasser glaubt nicht, daß Einsicht Gelehrten vorbehalten bleibt und akademische Scholastik den einzigen Weg zur Erkenntnis darstellt. Er glaubt vielmehr, daß Beobachtung – Selbstbeobachtung – und Nachdenken jeden offenen Menschen zur Aufklärung über die Gegenstände seiner Beschäftigung und über sich selbst befähigen. Er möchte die Erfahrung vermitteln, daß Bewußtsein beim Aufnehmen von Kunst den Genuß nicht beeinträchtigt, sondern vertieft.
Musizieren und Lesen sind Vergnügen, die durch Übung und Einsicht gesteigert werden können. Erfolgreiches Lesen verwandelt den Laien in einen sachkundigen Leser, während der Fachmann die Leidenschaft bewahrt – beide sind ideale Leser. Der Ausgangspunkt ist die Sprache, das grundlegende Werkzeug der Literatur. Dichtung zeigt in vollendeten Anwendungen, was literarische Kunst bedeutet. Das Buch untersucht Fragen, die über bloße Ablenkung hinausgehen, und richtet sich an Philologen und interessierte Laien gleichermaßen. Es behandelt Sprache, Theater, Literaturgeschichte, Interpretation und das Verhältnis von Dichtung und Musik. Ein zweiter Teil widmet sich einzelnen Werken, von Shakespeares Stücken bis zur Lyrik von Harald Hartung und Rita Dove. Diese Werke werden nicht nur theoretisch analysiert, sondern laden zum Lesen ein und fördern das Verständnis für die Erkenntnisse, die aus der Dichtung hervorgehen. Bei der Betrachtung klassischer Autoren wird die Sprache der Dichtung, die aus der allgemeinen Sprache entsteht, nicht vernachlässigt. Auch die Grundlagen wie Rede- und Schreibgewohnheiten, Sprachwandel und Grammatik werden thematisiert. Der Leser kann hier einen Gewinn erwarten: Gut Geschriebenes wird lebendig, und Syntax sowie Metrik entfalten ihre volle Wirkung in vollendeten Werken.
Sprache ist für alle da, ebenso, im Prinzip, die Literatur. Wie man sie gebraucht, ist jedem anheimgestellt. Was könnte demokratischer und liberaler sein? Allerdings ist Sprache ein Werkzeug, dem mitunter besondere Leistung abverlangt wird, etwa in der Wissenschaft: beim Bezeichnen schwieriger Sachverhalte, was ein hohes Maß an sprachlicher Präzision erfordert. Das gilt auch für die Dichtung. Es gilt hier sogar in höchstem Maß, weil die Sachverhalte nicht, wie in der Wissenschaft, vorgegeben, sondern geschaffen sind – hervorgebracht von der Kunst des Autors. Der Autor, wie phantasievoll auch immer, bleibt angewiesen auf das Wirkliche: in der äußeren Welt oder der inneren des Menschen. Das ermöglicht dem Leser, das Gelesene und die eigene Erfahrung aneinander zu prüfen. Ein Institut, das dabei nützlich sein kann, ist die Philologie eine Wissenschaft, die niemand verschrecken muß, denn ›Liebe zum Wort‹ bedeutet mehr und Lustvolleres als ein akademisches Ressort. Hier jedenfalls, in diesen kleinen Schriften, liegt ihr Hauptgeschäft darin, dem Vergnügen des Lesers zu dienen. Sie versucht das, indem sie einlädt zu lesen: Shakespeare und Eliot, Goethe und Brecht, (vermeintlich) Bekanntes und wenig Bekanntes.
Bemerkungen über Kultur, vergangene und verbliebene
Das eigentliche Studium des Menschen ist der Mensch. Der Mensch als Gattungswesen, als Individuum, in seiner Beziehung zu anderen Menschen, zu sich selbst, zu Natur und Geschichte, zum Übernatürlichen. Dieses Studium vollzieht sich nicht nur in Religion, Philosophie oder den Wissenschaften, die es organisieren und methodisch durchbilden. Es vollzieht sich in der Kunst. Es vollzieht sich in jedem, der seine Wahrnehmung schärft, seine Einsichten prüft, um Erkenntnis zu gewinnen. Eine beliebte Form dafür, seit der Antike, ist die knappe Aufzeichnung. Sie erlebt eine Blüte bei den französischen Moralisten und erreicht einen neuen Höhepunkt in den Cahiers des Paul Valéry. Glanzvolle Beispiele im Deutschen: Lichtenbergs Sudelbücher, Goethes Maximen und Reflexionen. Niemand kann hoffen, angesichts der Fülle des Überlieferten, grundsätzlich Neues zu sagen. Es kann nur darum gehn, die eigene Erfahrung auszudrücken, oft mit Bezug auf Älteres, und den Leser zum Nachdenken anzuregen. Was zählt, ist nicht, ob er zustimmt oder widerspricht, sondern was sich an Klarheit einstellt, wenn er das Gelesene an der eignen Erfahrung prüft.
Zehn Unterhaltungen über Kunst und Konvention